Woher die Milch kommt, weiß die 17-jährige Katinka seit Kindheitstagen – genauso wie ihre jüngeren Schwestern, ihre Freundinnen, ihre Mutter und Großmutter. Als Bauerntochter wuchs Katinka in landwirtschaftliche Tätigkeiten rund ums Feld und Nutztierhaltung hinein. Im Melkstand sitzt jeder Handgriff. Man spürt Katinkas Liebe zum Hof und zur Natur. Am Ende des Films wird ihre Familie für ein neues Etikett der Joghurtbecher fotografiert. Katinka ist eine Erzeugerin, keine Endverbraucherin.

Dokumentarisch und poetisch entrückt zugleich

Justine Bauers dramaturgisch lose gestrickter Debütfilm Zum Filmarchiv: "Milch ins Feuer" (DE 2024) pendelt zwischen dokumentarisch wirkenden Eindrücken (Glossar: Zum Inhalt: Dokumentarfilm) und poetisch-sinnlicher Entrückung. Die Filmemacherin konzentriert sich dabei auf einen eng umrissenen, ihr wohl bekannten Ausschnitt: das bäuerliche Milieu in ihrer baden-württembergischen Heimat Hohenlohe. Abgesehen vom spezifischen Dialekt könnte ihre Geschichte auch in anderen ländlichen Regionen spielen.

Mitunter scheint in "Milch ins Feuer" allerdings die Zeit stehen geblieben zu sein. Obwohl Katinka leidenschaftlich Landwirtin ist, wird sie den Hof nicht übernehmen können, ist er doch dem ältesten Sohn zugedacht. So will es – offenbar auch noch heute – die Tradition. Sollte ihre Freundin Anna, die von Katinkas Bruder schwanger ist, das Kind bekommen und ihn heiraten, wäre sie "im Besitz all der Hektar", die Anna nach eigener Aussage gar nicht will. Und Jugendliche ohne Smartphone? Gibt es eigentlich nicht. Doch in "Milch ins Feuer" scheinen Handys nicht zu existieren; nur ein einziges Mal wird scherzhaft ein Podcast erwähnt. Der Blick auf das Landleben ist auch, aber eben nicht vollständig realistisch.

Frauen bei der Arbeit: Diese Sequenz ist ein Beispiel für die dokumentarische Qualität des Films, der landwirtschaftliche Vorgänge minutiös mitverfolgt. Dass die schwangere Erzählerin Anna beim Pressen der Heuballen an eine Geburt denkt, verleiht der Szene eine zusätzliche Bedeutungsebene. (© Bauer Carnicer / Filmperlen)

Ein nostalgischer Eindruck entsteht auch durch das gewählte 4:3-Zum Inhalt: Bildformat. Statt die schöne Landschaft in weiten Zum Inhalt: Einstellungsgrößen einzufangen, wählt Justine Bauer ein enges Bildfomat, der dafür die überwiegend weiblichen Figuren in den Mittelpunkt rückt. Annas eingestreutes Zum Inhalt: Voiceover – wie die Dialoge im Film im hohenlohischen Dialekt gesprochen – trägt Erfahrungen und nötige Hintergrundinformationen zusammen, die über das Gezeigte hinausweisen. So entsteht eine Vielschichtigkeit, die bei aller Authentizität viel Freiraum für poetische Momente eröffnet.

Verbundenheit mit der Natur

Screenshot aus MILCH INS FEUER, Bauer Carnicer / Filmperlen

Die Beziehung der Figuren zur Natur, insbesondere zu Tieren, ist die zentrale inhaltliche Klammer des Films. Die betont lange Eröffnungseinstellung, die per Draufsicht (Glossar: Zum Inhalt: Kameraperspektiven) die über einem Fluss schaukelnde Katinka zeigt, verortet die Handlung gleich zu Beginn in der Natur.

Der Fluss kommt mehrmals im Film vor; als Treffpunkt der Jugendlichen, die nicht im Freibad schaulaufen, sondern an einer Badestelle, die kaum ruhiger sein könnte und bei der höchstens mal ein nackter älterer Herr kurz, doch nicht ernsthaft irritiert. Man beachte die ungewöhnlich ruhige Tonspur. (© Bauer Carnicer / Filmperlen)

Direkt nach der Zum Inhalt: Exposition sehen wir die in einer Baumgabel liegende Anna und eine Handvoll Weinbergschnecken auf dem Boden, von denen eine bald an Katinkas Knie klebt – ohne Ekel, einfach so. Von diesen ersten Momenten an bis zum Zum Inhalt: Abspann, der die Namen der im Film vorkommenden Tiere zuerst nennt, versammelt die Regisseurin weitere Eindrücke der bäuerlichen Welt. Ihr Blick gilt den Tieren, den Pflanzen, dem Acker und dem, was der Boden hergibt. Katinka isst die süßen Tomaten ihrer Großmutter, spricht mit ihr über die Quitten am Baum und den fehlenden Regen.

Ganz wesentlich ist der allzeit pragmatische Umgang mit der Natur. Katinka krempelt die Ärmel hoch. Carina wünscht sich eine "gescheite Schaufel" zu ihrem 18. Geburtstag. Bald kommt das Werkzeug zum Einsatz, als Katinka eine angefahrene Katze von ihrem Leid erlöst – ein auf den ersten Blick brutaler, letztlich indes emphatischer Moment, in dem die großmütterlichen Erzählungen von den vielen Kätzchen mitschwingen, die früher in Säcken und Fässern ihr Ende fanden.

Der praktische Umgang mit allem Natürlichen hat im Film viele Gesichter: Die Schwangerschaft von Katinkas Freundin Anna ist kein Skandal; die Kühe melkt Katinka im Bikinioberteil, weil sie ohnehin zwischendurch in den Fluss springen will; und bei der Kastration der Lamas frisst der Hund die entfernten Hoden, ganz beiläufig ohne Gezeter.

Ruhiges Erzählen über das Leben auf dem Land

Die Ästhetik greift den direkten Naturzugang organisch auf. Die Bilder von Kameramann Pedro Carnicer sind ruhig, sinnlich, plastisch. Der sparsame Score (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) von Cris Derksen unterstützt mit seinem klassisch wirkenden Klang diesen Eindruck. Dominanter ist die hörenswerte Stille, die allenfalls von den Geräuschen (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound-Design) der Agrarmaschinen unterbrochen wird. Wenn die Töchter und die Mutter sich im Freien gegenseitig gründlich die Haare kämmen, trifft die ruhige Sinnlichkeit auf einen Akt zwischenmenschlicher Verbundenheit. Dazu gehört, dass das enge Zusammenleben dreier Generationen auf dem Land üblicher ist als in der Stadt.

Ohne große Zuspitzungen erzählt Bauer vom "Sommer, in dem wir alle aufs Joghurtglas gekommen sind". Anders als etwa im ebenfalls auf dem Land verorteten Jugendfilm Zum Filmarchiv: "Nackte Tiere" (Melanie Waelde, DE 2020) wird das Provinzielle fern jeder Langweile und ohne Stadtfluchtideen als erfüllend gezeichnet. Negative Aspekte kommen dennoch vor: Beispielsweise der normalisierte Rassismus, als ein Freund der Mädchen drei Schwarze Männer auf einer Fahrradtour anhält und sich diskriminierend äußert. Auch das Höfesterben wird verbildlicht: Wo früher ein großer Hof stand, hat jetzt eine Neubausiedlung ihren Platz gefunden. Ein Nebenstrang skizziert das Schicksal des Nachbarn, dessen symbolischer Protest gegen die Milchpreispolitik dem Film seinen Titel verleiht und der sich verzweifelt schließlich zum Suizid entschließt. Doch auch hier wird das Leben und Sterben als Bestandteil der Natur nicht überdramatisiert: Der Mann lebt nicht mehr und das ist endgültig; das Heu muss trotzdem vor dem Regen in die Scheune. In der Natur hat alles seine Zeit. Katinka und die anderen sind Teil davon.