Seinen gelben Stern tauscht der zehnjährige Joseph auf Wunsch eines Mitschülers gegen einen Beutel mit Murmeln, aber in Acht nehmen muss er sich vor den Nazis dennoch. Im vom NS-Deutschland besetzten Paris 1942 werden zunehmend Juden verfolgt und deportiert. Um zu überleben, planen seine Eltern die Flucht nach Südfrankreich, in die unbesetzte, sogenannte "freie Zone" des Landes. Da ein gemeinsamer Aufbruch jedoch zu riskant wäre, schicken sie Joseph und seinen zwei Jahre älteren Bruder allein auf die Reise. Mit ein bisschen Glück schaffen es die Jungen nach Nizza, wo sie für kurze Zeit ihre Eltern wiedertreffen und Joseph für dort stationierte italienische Soldaten Zigaretten auf dem Schwarzmarkt besorgt. Doch im Juli 1943 wird Mussolini gestürzt und verhaftet: Die Familie Joffo muss damit rechnen, dass sich für sie mit dem Abzug der Italiener die Situation in Nizza verschärfen wird. Erneut beginnt eine Flucht, auf der sich die Jungen mit viel Einfallsreichtum über Wasser halten, getragen von der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit ihrer Familie.
Christian Duguay (
Sebastian und die Feuerretter) erzählt die Geschichte nach dem autobiografischen Bestseller von Joseph Joffo, der darin auf seine Kindheit zurückblickt. Trotz vieler traumatischer Ereignisse wirkt die
Adaption nicht zu belastend, da der Regisseur die Perspektive seines kindlichen Helden einnimmt, dessen wechselnde Gefühle zwischen Angst, Abenteuerlust, Bruderliebe, Überforderung und erstarkendem Selbstbewusstsein er feinfühlig auslotet. Auch hält das
Drehbuch spannungsreich die Balance zwischen dramatischen Ereignissen, hoffnungsvollen Momenten und Rückschlägen. Die eindringlichen Leistungen der Schauspieler/innen, lichtdurchflutete Bilder, die bisweilen eine trügerische Schönheit ausstrahlen, und eine dezente lyrische
Musik unterstreichen den hohen künstlerischen Anspruch des Films.
Ein Sack voll Murmeln, Szene (© Edition Weltkino Filmverleih)
Mit seiner kindgerechten
Inszenierung und tapferen, sympathischen Identifikationsfiguren wendet sich der Film dezidiert an ein junges Publikum. Das Beispiel von Joseph und Maurice macht die verhängnisvolle Situation von Juden im besetzten Frankreich lebensnah deutlich. Es empfiehlt sich allerdings, im Geschichtsunterricht die politischen Hintergründe rund um das Vichy-Regime und die deutsch-französische Kollaboration zu erarbeiten, wobei diese Einführung auch dazu dienen kann, die Schüler/innen sensibel auf die (wenigen) gewalthaltigen
Szenen vorzubereiten. Um das historische Kapitel zu vertiefen, können schließlich Filme mit ähnlicher thematischer Ausrichtung ergänzend herangezogen werden, etwa
Die Kinder von Paris,
Auf Wiedersehen, Kinder oder
Sarahs Schlüssel. Anhand der Lichtgestalten, die den Kindern in ausweglosen Situationen zur Seite stehen, lassen sich die Möglichkeiten von Zivilcourage und ethische Fragen erörtern. Davon ausgehend können auch Parallelen zur heutigen Situation von geflüchteten Kindern und Flüchtlingshelfern und -helferinnen gezogen werden.
Autor/in: Kirsten Liese, 16.08.2017
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