Im Februar 2005 wird Hatun Aynur Sürücü in Berlin auf offener Straße von ihrem jüngsten Bruder ermordet. Die Tat gleicht einer Hinrichtung: drei Schüsse aus nächster Nähe, mitten ins Gesicht. Der gewaltsame Tod der 23-jährigen Deutschen mit türkisch-kurdischen Wurzeln rückt das Thema "Ehrenmord" ins öffentliche Bewusstsein. Seine Schwester, so erklärt der Täter, im Film Nuri genannt, später sein Motiv, habe die "Ehre" ihrer streng konservativ-muslimischen Familie "befleckt", weil sie "wie eine Deutsche“ leben wollte". Sherry Hormann erzählt in
Nur eine Frau die Geschichte von Hatun Aynur Sürücü, die in Berlin-Kreuzberg aufwächst und als Teenager in der Türkei mit ihrem Cousin verheiratet wird. Als sie hochschwanger vor ihrem gewalttätigen Mann zurück nach Berlin flieht, nimmt ihre Familie sie nur widerwillig auf, fürchtet sie doch um ihren guten Ruf. Hormann zeigt in
Rückblenden die Emanzipation einer lebenshungrigen, mutigen Frau. Zugleich zeichnet sie aber auch das Psychogramm einer Familie, die ein Weltbild vertritt, das Frauen keinerlei eigene Rechte zubilligt. Die Handlung des Filmes endet mit dem Gerichtsprozess gegen Nuri und seine Brüder.
Schon in der
Exposition wird deutlich, dass der biografische Spielfilm
Nur eine Frau die Perspektive des Opfers einnimmt: Aus dem Off lässt Hormann ihre Hauptfigur lakonisch erzählen, wie es so weit kommen konnte, dass ein Bruder seine eigene Schwester tötet. Das Filmteam hat nach eigenen Angaben gründlich recherchiert: Das
Drehbuch stützt sich demnach auf Gerichtsunterlagen, Gespräche mit Familienmitgliedern, Freundinnen, Wegbegleitern und der Kronzeugin im Prozess sowie auf die Recherchen der Journalisten Matthias Deiß und Jo Goll. Die Filmaufnahmen an
Originalschauplätzen verhelfen der Handlung zusätzlich zu Authentizität. Dramaturgisch geschickt werden im
Schnittprozess fiktionale
Inszenierungen mit dokumentarischem Material verknüpft – Fotografien, privates Videomaterial sowie Aufnahmen aus der medialen Berichterstattung. Wiederholt strukturieren – und versachlichen somit gewissermaßen –
Textinserts die inszenierten
Sequenzen. Sie ordnen familiäre Strukturen ein oder listen die vom Bundeskriminalamt erhobenen Gründe auf, die zum Tatbestand "Ehrenmord" führen können. Ehrverletzend ist demnach etwa, wenn die Frau einen Beruf ergreift und dadurch die Rolle des Mannes als Ernährer der Familie in Frage stellt. Hormann arbeitet diese Liste mit den vermeintlichen Verstößen gegen die Familienehre rückblickend ab: Hatun Aynur hatte sich eine Wohnung gesucht, zog ihren Sohn alleine groß, legte das Kopftuch ab, begann eine Lehre als Elektroinstallateurin und führte ein weitgehend selbstbestimmtes Leben.
Nur eine Frau, Szene (© NFP marketing & distribution*)
Mit dem Film bekommt die ermordete Hatun Aynur Sürücü posthum eine Stimme.
Nur eine Frau rückt damit allgemein die Rechte von Mädchen und Frauen in den Fokus und bietet damit einen guten Anlass, um in den Fächern Ethik, Religion und Sozial- oder Gesellschaftskunde die gesellschaftlichen Grundwerte, unter anderem Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, zu debattieren. Da auch der Familie Sürücu im Film Raum gegeben wird, lassen sich deren Rollenbilder und kulturell geprägte Familienstrukturen hinterfragen: Welche emotionalen und religiösen Motive standen hinter der Tat? Und wie stehen diese zum deutschen Grundgesetz? Außerdem können in diesem Zusammenhang die Begriffe "Ehre" und "Schande" diskutiert werden. Mit dem Blick auf die Wahl der inszenatorischen Mittel, lohnt es sich in den Fächern Deutsch und Gesellschaftskunde die Off-Stimme, mit der Hatun Aynur ihr Schicksal kommentiert, mit den Medienberichten zu diesem Fall und dem Prozessverlauf abzugleichen. Warum entscheidet sich die Regie für diese Erzählweise? Was möchte sie damit beim Publikum auslösen?
Autor/in: Susanne Kim, 08.05.2019
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Wüstenblume (Filmbesprechung vom 27.08.2009)
Die Fremde (Filmbesprechung vom 09.03.2010)
Ayla (Filmbesprechung vom 04.05.2010)
Mustang (Filmbesprechung vom 02.02.2016)
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.