Meer, Wärme, Sonne, ein leichter Wind und Surfer – Jeanne trinkt Cola im Strandcafé, raucht und starrt in die endlose Ferne . Sie lebt mit ihren Eltern dort, wo andere Familien höchstens drei Wochen im Jahr Urlaub machen, in einer Feriensiedlung in Portugal. Zur Schule muss sie auch nicht, sie lernt mit der Mutter Portugiesisch und auch der Vater hat viel Zeit für sie. Was für ein Leben für eine Fünfzehnjährige!
Eine Jugend in Isolation
Wer aber in Jeannes Gesicht guckt, weiß, dass es ihr nicht gut geht. Obwohl sie ihre Eltern immer um sich hat, ist sie allein. Sie hat keine beste Freundin, mit der sie kichernd Geheimnisse austauschen kann; sie hat sich noch nie auf einer Party betrunken, eine Klassenfahrt gemacht oder die Schule geschwänzt. Sie hat noch nie für einen Jungen geschwärmt oder sich gar verliebt. Denn Jeannes Eltern leben im Untergrund. Sie sind ständig auf der Flucht vor realen oder imaginären Verfolgern, bewahren ihre Ersparnisse in Schließfächern und Erdlöchern auf, haben Angst, wenn Jeanne mit jemandem spricht. Und da Jeanne nichts anderes kennt, nur manchmal, im Vorbeifahren, durchs Autofenster eine Ahnung vom wirklichen Leben bekommt, hat sie noch nie etwas gesagt.
Die Tochter als Sicherheitsrisiko
Das geht so lange gut, bis Jeanne Heinrich kennen lernt und sich in ihn verliebt. Aber der verschwindet erst einmal wieder. Nachdem das Geld der Eltern aus dem Schließfach in Lissabon geklaut wird, muss die Familie nach Deutschland zurück. Und während die Eltern in einem Versteck sitzen und verzweifelt darauf warten, dass ein alter Freund ihnen die nötigen Mittel beschafft, um in Südamerika endlich ein ganz normales Leben führen zu können, geht Jeanne einkaufen und begegnet unterwegs Heinrich wieder. Plötzlich wird sie, nur weil auch sie endlich einmal wie andere Mädchen in ihrem Alter sein will, zum Sicherheitsrisiko. Und sie muss sich entscheiden: zwischen den geliebten Eltern und Heinrich ...
Kommunikationsstrukturen
Die innere Sicherheit ist ein sehr langsamer, stiller Film, in dem kaum gesprochen, aber dafür umso mehr geschwiegen wird, vielsagend geschwiegen. Es ist ein Film der langen Blicke und kleinen, manchmal versehentlichen Gesten. Weil sie nur einander haben, verstehen die einzelnen Familienmitglieder auch ohne Worte, und bei ihren kleinen Fluchtversuchen muss Jeanne auch das Sprechen wieder lernen. Innerhalb der Familie bedeutet Sprechen, dass Gefahr im Verzug ist. Es gibt kaum normale Auseinandersetzungen, kein Kommentieren von Alltäglichkeiten, kein Erzählen von Erlebnissen: Vater, Mutter und Kind wissen sowieso immer, was die anderen erlebt haben.
Dialog der Generationen als Verhör
Als Jeanne aber beginnt, ihre eigenen Wege zu gehen, wird es gefährlich. Und deshalb wird gesprochen. Einmal erinnert sich der Vater an ein Verhör: Man dürfe einfach gar nichts sagen, das bringe "sie" am meisten aus dem Konzept. Man müsse die Kraft haben zu schweigen. Wenig später wird Jeanne verhört. Jedenfalls fühlt sie sich so, als ihre Eltern sie eindringlich davor warnen, Heinrich noch einmal zu treffen. "Kann ich ein Glas Wasser haben?", fragt sie, und der Vater antwortet: "Das ist doch kein Verhör." "Doch", sagt Jeanne einfach und schweigt.
Liebe und Loyalität
In der bewegendsten Szene des Films muss Jeanne ihren Geliebten verraten, um gegenüber den Eltern loyal zu bleiben. Sie sitzt im Auto vor der Bank, die von den beiden gerade überfallen wird, als Heinrich vorbeikommt. Sie beginnt, ihn zu beschimpfen und schickt ihn, der vollkommen überrascht ist, weg. Und sie weint noch nicht einmal dabei. Hier wird deutlich, wie sehr Jeanne sich auf das Leben im Untergrund eingestellt hat. Sie kennt die Regeln und befolgt sie. Denn ihre Eltern sind das Einzige, was sie wirklich hat. Sie ist die wirklich Erwachsene in diesem Film; eher schützt sie Vater und Mutter als umgekehrt. Doch die beiden haben im anderen immer noch einen geliebten Partner. Jeanne dagegen ist ganz allein, besonders wenn die Eltern im Nebenzimmer Sex haben.
Der Kindheit beraubt
Es ist eine große Stärke dieses Films, dass er Jeannes Dilemma schildert, ohne es erklären zu müssen. Wir wissen, wenn wir Julia Hummers mürrisches, verschlossenes Gesicht sehen, dass dieses Mädchen nie eine Kindheit gehabt hat und im Begriff ist, ihrer Jugend ebenfalls beraubt zu werden. Und die ganze Zeit wünscht man ihr wenigstens eine beste Freundin ...
Autor/in: Daniela Sannwald, 01.02.2001