Kinofilmgeschichte
Vietnam im Film
Der Vietnamkrieg war ein Krieg der Kameras. Die Fernsehteams waren vor Ort und filmten das grausame Geschehen. In
Apocalypse Now Redux nimmt Francis Ford Coppola darauf mit einem Cameo-Auftritt Bezug. Er selbst mimt einen Reporter, der GIs auffordert, nicht in die Kamera zu schauen und Kampfbereitschaft zu zeigen. Manche US-Politiker geben den Kameras die Schuld an der Niederlage der Amerikaner in diesem Krieg. Sie zeigten zu viel Realität und waren zu wenig für Propaganda zu gebrauchen.
M.A.S.H.
Propaganda für den US-Einsatz
Doch auch die Filmkameras, die fiktive Geschichten festhalten, begannen den Film zu kommentieren, als er gerade auf seinem Höhepunkt ankam. 1968 entstand der einzige Film, der zunächst Partei ergriff für die "Boys" an der Front: Die grünen Teufel, ein Propagandawerk für den amerikanischen Vietnameinsatz von und mit John Wayne. Bezeichnenderweise ging es darum, einen kritischen Journalisten von der Richtigkeit des Engagements zu überzeugen.
Generationenkonflikte und Massaker
Die mediale Unterstützung amerikanischer Kriegsführung war sonst stets die Haltung Hollywoods gewesen. Doch diesmal war die Stimmung im Land anders, vor allem in der Generation der jungen Kinogänger und Rekruten. Deswegen entstanden 1969 Filme über den Konflikt der Generationen: Die Generation von 1969 oder über Versuche, der Einberufung zu entgehen: Alice's Restaurant. Außerdem wurden Parabeln über Vietnam inszeniert, weil offene Kritik an der Kriegsführung in Hollywood offensichtlich noch wenig opportun war. So entstand Robert Altmans Lazarett-Groteske M.A.S.H. So entstanden auch zwei Western, die das bekannt gewordene Massaker amerikanischer Soldaten an Zivilisten im Dorf My Lai in die Vergangenheit der Indianer-Gemetzel von US-Kavalleristen projizierten: Das Wiegenlied vom Totschlag und Little Big Man.
Coming Home
Die Geschichten der Heimkehrer
Die 1973 im Waffenstillstandsabkommen von Paris besiegelte Niederlage der amerikanischen Truppen und die Kriegsverbrechen, die amerikanische Soldaten begangen hatten, legten sich als Trauma über die US-Gesellschaft. Mitte der 70er Jahre ging Hollywood daran, dieses Trauma im Film zu bearbeiten. Zuerst wurden die Geschichten von desorientierten oder schwer neurotisierten Heimkehrern und Veteranen erzählt:
Taxi Driver von Martin Scorsese (1976),
Coming Home von Hal Ashby und
The Deer Hunter von Michael Cimino (beide 1978). Spätere Veteranenfilme sind
Birdy von Alan Parker (1984) und
Born on the Forth of July von Oliver Stone (1989), der als einziger den kriegsbehinderten Heimkehrer konkret politisch tätig werden lässt.
Full Metal Jacket
Umbau der Wirklichkeit
Während Stone 1986 in Platoon noch einmal die psychische Krise der GIs beim Fronteinsatz zu analysieren versuchte und Stanley Kubrick 1987 mit Full Metal Jacket den Umbau von jungen Männern in Kampfmaschinen durch den Drill untersuchen wollte, hatte längst die kinematographische Uminterpretation der vietnamesischen Realität in die patriotische Legende von der Gerechtigkeit des Einsatzes begonnen. Mit Missing in Action (1984) wurde das klare Feindbild vom verwerflichen Vietcong und das ebenso klare Denkmal vom tapferen Amerikaner, der seine gefangenen Kameraden befreien muss, wieder hergestellt. Ein Jahr später wurde es mit Rambo II auf die Spitze getrieben. Nun waren die Soldaten wieder Helden. Kriminell waren allenfalls die Zivilisten in der unfähigen US-Bürokratie.
Veteranen als Helden
Es gab auch sanfteren Revisionismus – in Barry Levinsons Good Morning, Vietnam und erstaunlicherweise sogar in Coppolas Der steinerne Garten (beide 1987). Jedenfalls waren im Hollywoodfilm Ende der 80er Jahre die Vietnam-gestählten Veteranen zu den Helden mutiert, die als Polizisten und Detektive oder als wackere Privatmänner die Kriminalität bekämpften. In den Neunzigern war auf der Leinwand zu erleben, dass der Vietnameinsatz auch für ein schlichtes Gemüt zum Beginn einer wunderbaren Millionärskarriere werden konnte (Forrest Gump), und dass Vietnam-gediente US-Präsidenten ihre Erfahrungen dazu nutzen konnten, die eigene Familie und die halbe Welt vor den letzten Kommunisten (Airforce One) oder die ganze Welt vor grausamen Außerirdischen zu retten (Independence Day). Ein melancholischer Nachklang wurde schließlich mit Toni Buis Three Seasons (1998) angeschlagen. Darin ist ein ehemaliger GI nach Saigon zurückgekehrt, um seine während des Krieges gezeugte Tochter zu suchen. Er verdämmert seine Erinnerungen in einer Kneipe.
Apocalypse Now Redux
In jedem ist Vietnam
All diese Filme waren bemüht, mit mehr oder weniger realistischen Geschichten auf die Ereignisse in Vietnam zu reagieren. Keiner dieser Filme (in Ansätzen vielleicht
Birdy) hat jedoch den Versuch unternommen, diese Ereignisse aus der realistischen Perspektive herauszuheben und ihnen eine überzeitliche Dimension im Mythos zuzusprechen. Francis Ford Coppolas
Apocalypse Now und in noch stärkerem Maße jetzt
Apocalypse Now Redux sind die Ausnahme. Sicher, in jedem Hollywoodfilm, der Helden präsentiert, werden kleine Mythen (in dem Fall: tröstliche Lügen) konstruiert. Doch Coppola hat Vietnam hineingespiegelt in eine Existenzerzählung der Menschheit. Er zeigt: Vietnam ist in jedem von uns und jeder von uns ist in einer Existenzsituation, die so katastrophal werden kann wie dieser Krieg im Dschungel.
Sophokles als Vorbild für Coppolas Kunst
Deswegen endet
Apocalypse Now nicht im Realen sondern im Mystischen. Man hat das dem Film vorgeworfen. Er werde unpolitisch, er werde vage und vielleicht sogar verblasen. Aber Coppola hat genau die Technik gewählt, die Sophokles für das erste erhaltene Drama der Theatergeschichte genutzt hat, das gleichzeitig das erste Kriegsstück war. Sophokles hat vom Perserkrieg und von der Schlacht bei Salamis berichtet. Den Bericht hat er mit den Ritualen einer Beschwörung des Jenseits verbunden. Das mag heute irrational klingen. Dennoch bringt das Verlassen der realistischen Diskussionsebene in jedem etwas zum Schwingen und erhöht die Aufmerksamkeit für das Leben und den Tod und für die Situation, in der das Leben besonders bedroht ist: den Krieg. Genauso funktioniert das Verfahren in
Apocalypse Now (Redux). Der Zuschauer vergisst das historische Geschehen. Und doch wird er es am Ende nachhaltiger erinnern als nach jedem anderen Film über Vietnam. Deswegen sind all die anderen Filme Kino. Coppolas Film dagegen ist Kunst.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 21.09.2006