Hintergrund
Mobbing
Ursprünglich wurde der Begriff Mobbing (engl. to mob = angreifen, anpöbeln) für aggressive Verhaltensweisen bei Tieren geprägt. Gekennzeichnet wurden damit Tiergruppen, die Angriffe auf ein einzelnes Tier richten, um es aus der Gruppe zu vertreiben (Konrad Lorenz). In den 70er Jahren führte der schwedische Arbeitspsychologe Heinz Leymann den Begriff in das Arbeitsleben ein. Unter Mobbing wird eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzen und Untergebenen verstanden, bei der die betroffene Person von einer oder mehreren Personen systematisch angegriffen wird. Dies geschieht regelmäßig über einen längeren Zeitraum.
Viele Betroffene
Nach einer aktuellen Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gelten mehr als 800.000 Menschen in Deutschland, das sind 2,7 % aller Arbeitnehmer, als Mobbing-Opfer. Im Verlauf seines Berufslebens wird jeder neunte Deutsche mindestens einmal von den Kollegen drangsaliert. Deutschland liegt damit im europäischen Mittelfeld. Eine repräsentative Querschnittsuntersuchung in Schweden hat beispielsweise ergeben, dass dort jeder vierte Arbeitnehmer während seines Berufslebens mindestens einmal von Mobbing betroffen ist. Die schwedischen Untersuchungen zeigen, dass Mobbing entweder von einzelnen (34 Prozent) oder von einer Gruppe von zwei bis vier Personen ausgeht (43 Prozent). In den Betrieben mobben Vorgesetzte ihre Untergebenen (37 Prozent) oder die Angriffe zielen auf gleichgestellte Kollegen (44 Prozent). In seltenen Fällen schikanieren Angestellte ihre Vorgesetzten (9 Prozent).
Soziale Folgen ...
In seinen Untersuchungen hat Leymann einen typischen Mobbing-Verlauf festgestellt. Am Anfang steht meist ein unbewältigter Konflikt, der schließlich eskaliert. Die Auswirkungen einer fortgesetzten Mobbing-Attacke sind für die Betroffenen schwerwiegend. Das soziale Netzwerk am Arbeitsplatz zerfällt, die soziale Unterstützung geht immer mehr verloren. Die Kollegen ziehen sich zurück, das Opfer wird zunehmend sozial isoliert. Besonders schwierig wird die Situation für die Opfer, wenn die anderen Kollegen die Angriffe mittragen und dadurch zu "Möglichmachern" werden. Die "Mobber" fühlen sich dadurch in ihrer Strategie bestätigt. Ein Teufelskreis beginnt: Das Opfer kann den sozialen Stress nicht mehr bewältigen und reagiert mit auffälligen Verhaltensänderungen, die den Prozess der Ausgrenzung noch verstärken.
... bis hin zum Selbstmord
Welche Bewältigungsstrategien die Betroffenen auch anwenden, sie sind immer in einer unterlegenen Verteidigungshaltung. Anstatt das Verhalten in Beziehung zur Konfliktsituation zu setzen, entstehen im Kollegenkreis Mythen über die vermeintlichen charakterlichen Defizite der betroffenen Person. Je auswegsloser die Situation wird, desto verzweifelter und ängstlicher wird der Gemobbte. Dies wiederum bestärkt die Umwelt in ihrem Glauben, der Betroffene sei selbst für seine Situation verantwortlich. Das Mobbing-Opfer entwickelt unspezifische psychosomatische Symptome wie Kreislaufbeschwerden, Magen-Darmprobleme, Migräne, die sich bis zu klinischen Krankheiten wie Depressionen, Angstzustände, Neurosen ausweiten können. Häufig durchschauen die Ärzte die krankmachenden Zusammenhänge nicht und es kommt zu Fehldiagnosen, die das Opfer zusätzlich stigmatisieren. Im schlimmsten Fall findet das Opfer keinen Ausweg und begeht Selbstmord. Untersuchungen in Schweden zeigen, dass 10 bis 20 Prozent der Selbstmörder Mobbingopfer sind.
Begünstigende Arbeitsstrukturen
Mobbing ist Ausdruck der sozialen Verhältnisse in der Arbeitswelt: Angst um den Arbeitsplatz, Konkurrenz- und Leistungsdruck fördern das Mobbing genauso wie stark hierarchische und wenig transparente Unternehmensstrukturen. Eine Rolle spielen auch mangelhafte Führungsqualitäten von Vorgesetzten. Zudem wird Mobbing von Vorgesetzten als strategisches Instrument zum Personalabbau genutzt oder zumindest toleriert. Falsche Vorgaben und fehlendes Eingreifen in Konfliktsituationen können dann eine auslösende oder verstärkende Wirkung haben. Gemobbt wird auch, wenn in den Unternehmen eine konstruktive Streitkultur fehlt und die Kommunikation in der Arbeitsgruppe gestört ist.
Besonders gefährdete Personen
Mobbing-Opfer sind in allen Gesellschaftsschichten und Positionen zu finden. Insbesondere neue Mitarbeiter sind häufig betroffen, solange sie noch nicht in die Arbeitsgruppe einbezogen sind. Ältere Mitarbeiter sind Mobbing-Angriffen besonders ausgeliefert, da sie wegen schlechterer Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht so leicht die Stelle wechseln können. Als besonders gefährdet gelten Menschen, die sich durch ein oder mehrere Merkmale von der Gruppe abheben, zum Beispiel durch die Sprache, einen anderen Sozialstatus (z. B. Alleinerziehende) oder äußere Auffälligkeiten wie Kleidung, Haare oder das Verhalten. Die Mobbinghäufigkeit liegt bei Behinderten nach wissenschaftlichen Untersuchungen in Schweden fünfmal so hoch wie bei nicht behinderten Mitarbeitern.
Eine Frage des Geschlechts
Mobbing trifft sowohl Frauen als auch Männer. Frauen sind jedoch im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen wesentlich häufiger (laut Mobbing-Report der BAuA um 75 %) Opfer von Mobbing. Zudem werden Frauen häufiger von mehreren Kollegen angegriffen, und die Anfeindungen finden in kürzeren Abständen statt. Frauen werden auch anders attackiert als Männer. Häufig haben sie unter Angriffen im zwischenmenschlichen Bereich zu leiden, sie werden oft ausgegrenzt und gehänselt. Zudem sind besonders Frauen von verbalen sexuellen Angeboten oder sexuellen Annäherungen betroffen. Bei Männern spielen sich die Demütigungen dagegen eher im fachlichen Kontext ab, beispielsweise durch unberechtigte Kritik an der Arbeitsleistung oder einfach durch Arbeitsentzug. Während Männer überwiegend von Männern schikaniert werden, geht das Mobbing gegen Frauen von beiden Geschlechtern aus. Die Untersuchung der Mobbingformen hat ergeben, dass Männer eher passive Mobbingmuster wählen, wie zum Beispiel die Verweigerung der Kommunikation oder das Ausweichen auf Sachthemen. Frauen hingegen bevorzugen in der Regel aktive Handlungen, die das Ansehen der Person verletzen, wie zum Beispiel das Ausstreuen von Gerüchten und die Attacke mit Verleumdungen oder indirekten Anspielungen. Literaturhinweise: Heinz Leymann (Hg.): Mobbing, Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann. Rowohlt Taschenbuch, Hamburg 1993 B. Meschkutat, M. Stackelbeck, G. Langenhoff (hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin): Der Mobbing-Report – Eine Repräsentativstudie für die Bundesrepublik Deutschland. Forschungsbericht Fb 951, Berlin Juni 2002 Marie-France Hirigoyen: Wenn der Job zur Hölle wird. Seelische Gewalt am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehrt. C.H. Beck Verlag, München 2002
Autor/in: Yvonne Reichert (punctum, Bonn), 21.09.2006