Hintergrund
Die Rückkehr in die Weltgemeinschaft
Die junge Bundesrepublik der 1950er Jahre: Das noch in Trümmern liegende Land spiegelt die innere Orientierungslosigkeit seiner Gesellschaft wider. 1949 lebten 50 Millionen Menschen im westlichen Teil Deutschlands. Die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen wurde 1950 mit 9,6 Millionen beziffert. Vier Millionen Männer waren im Krieg gefallen, 11 Millionen befanden sich nach Kriegsende in alliierter Gefangenschaft.
Die neue Macht der Frauen ...
Frauen trugen die Verantwortung für die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Lebens. Sie kümmerten sich um die Erziehung der Kinder, kamen für den Lebensunterhalt auf, improvisierten den Alltag in den Ruinen. Nach dem Krieg leisteten sie die Aufräumarbeiten in den zu Schutt und Asche zerfallenen Städten. Eine über pathetische Ansprachen hinausgehende Anerkennung für ihre Verdienste erhielt die weibliche Bevölkerung nicht.
Szene aus "Das Wunder von Bern"
... und die Rückkehr des Patriarchats
Die nach 1945 allmählich zurückkehrenden Männer waren vom Krieg und der Gefangenschaft gezeichnet. Es waren oftmals physisch und psychisch gebrochene Menschen, die wieder in die Familien und die Gesellschaft integriert werden mussten. Um ihre Eingliederung zu erleichtern, wurden ihnen besondere Rechte und Vergünstigungen eingeräumt. Sie erhielten Übergangsbeihilfen, wurden bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzvergabe bevorzugt. Nach und nach wurden die Frauen wieder aus dem Erwerbsleben zurückgedrängt. Während die Männer erneut ihre Rolle als Ernährer und Haushaltvorstand übernahmen, machten die Frauen den Rückschritt in die finanzielle Abhängigkeit. Nach allem, was sie während des Krieges und im Wiederaufbau geleistet hatten, wurden sie auf ihre traditionelle Rolle als Hüterin des Heimes und als Stütze ihrer erwerbstätigen Ehemänner zurückgeworfen. Die patriarchalischen Familienstrukturen wurden restauriert.
Reorganisations- und Integrationsaufgaben
Die unter dem Besatzungsstatut der Alliierten lebende Bevölkerung in Deutschland trug schwer am Erbe des totalitären Regimes. Als besiegter Aggressor wurde das Land von der Weltgemeinschaft misstrauisch beäugt. Etwa drei Millionen Familien hatten Angehörige verloren. Die Menschen lebten in Armut. Hunger, Mangel- und Infektionskrankheiten waren weit verbreitet. In den Nachkriegsjahren fehlten allein in der Bundesrepublik sechs Millionen Wohnungen. Es waren schier unlösbare Aufgaben, vor denen beide deutschen Staaten – wenn auch mit unterschiedlichen politischen Vorgaben und Hilfen von außen – standen: Die Wirtschaft musste reorganisiert und wieder aufgebaut, die Massenarbeitslosigkeit bekämpft und die Wohnungsnot bewältigt werden. Darüber hinaus mussten Millionen Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten in die Gesellschaft integriert werden.
Wirtschaftsförderung
Der wirtschaftliche Aufschwung der Bundesrepublik begann mit der "Containment Policy" der USA, welche die Verhinderung einer weiteren kommunistischen Expansion Richtung Westen zum Ziel hatte. Aus Folge der Truman-Doktrin vom März 1947, die eine Unterstützung der Völker vorsah, welche "sich Unterjochungsversuchen ... oder auswärtigem Druck widersetzen", legten die USA den so genannten Marshallplan auf. Den Westeuropäischen Ländern sollten rund 12,5 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt werden, damit diese ihre Wirtschaft wieder aufbauen konnten. Im September 1948 floss die erste halbe Milliarde US-Dollar nach Westdeutschland, bis Ende 1951 folgte eine weitere Milliarde Dollar.
Soziale Marktwirtschaft
Ludwig Erhard, seit 1948 Wirtschaftsminister, verordnete der Bundesrepublik ein neues Wirtschaftssystem: die Soziale Marktwirtschaft. Er verknüpfte die anstehende Währungsreform mit einer Wirtschaftsreform und schaffte das bisherige Bewirtschaftungssystem mit Bezugsscheinen, Preiskontrollen und Rationierungen ab. Der Schwarzmarkt wurde eingedämmt. Als Folge des Koreakrieges 1950 entwickelte die westdeutsche Wirtschaft eine unerwartete Dynamik. Die ausländische Nachfrage nach Rohstoffen und Investitionsgütern stieg. Westdeutschland hatte freie Kapazitätsreserven anzubieten. Zwischen 1948 und 1950 erhöhten sich die Reallöhne der Bundesbürger um 40 Prozent. Die große Inlandsnachfrage nach langlebigen Konsumgütern kurbelte die Produktion an und sorgte für einen lang anhaltenden Wirtschaftsaufschwung. Wenngleich sich der Wohlstand in der Bundesrepublik mehrte, eine gleichmäßige Einkommens- und Vermögensverteilung gelang nicht. Erst Ende der 50er Jahre konnten auch die unteren Schichten der Arbeitsgesellschaft am Wirtschaftsaufschwung teilhaben. Die Flüchtlinge und Vertriebenen gehörten zu der Bevölkerungsschicht, die erst spät am wachsenden Wohlstand teilhatte.
Szene aus "Das Wunder von Bern"
Vertrauen in die Zukunft
Mit dem steigenden Bruttosozialprodukt wuchs das Vertrauen der Bundesbürger in die Zukunft. 1954 gaben 60 Prozent an, optimistisch in die Zukunft zu blicken, vier Jahre zuvor hatten noch 73 Prozent eine pessimistische Grundstimmung eingeräumt. 1954 konnte sich Westdeutschland erstmals wieder an anderen Industrienationen messen: Bei der Stahlproduktion, einer der damaligen Schlüsselindustrien, nahm die Bundesrepublik in Westeuropa den ersten Rang ein. Knapp zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zeichnete sich mit der Verabschiedung des Deutschlandvertrages und des Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) das Ende der Besatzungszeit ab. Westdeutschland war, wenn auch mit Einschränkungen, auf dem Weg in die Souveränität. Die florierende Wirtschaft erwies sich als Motor für den Aufschwung des Landes.
Neues Selbstbewusstsein
Doch nicht nur wirtschaftliche Erfolge beflügelten das Selbstbewusstsein der Nation. Die westdeutsche Nationalelf konnte als klarer Außenseiter den Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 erringen. Die Emotionen im Stadion und in der Bundesrepublik schlugen hoch. Im vielstimmigen Jubel klang auch ein Stück weit Hoffnung an, als Land wieder in die Normalität zurückzukehren. Weite Teile der Bevölkerung, die sich vielfach in ihr privates Glück zurückgezogen hatten, erfuhren durch den Sieg ein neues, identitätsstiftendes Wir-Gefühl. Neun Jahre nach Ende der Nazidiktatur gab es wieder neue, positiv besetzte Helden. Der Durchbruch, die Rückkehr in die Weltgemeinschaft, schien geschafft.
Literatur:
Werner Abelshauser: Die langen fünfziger Jahre. Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland 1949-1966. Düsseldorf 1987 Rudolf Pörter: Kinderjahre der Bundesrepublik. Düsseldorf/Wien/New York 1989 Arthur Heinrich: Toor! Toor! Tor! Nördlingen 1994
Autor/in: Ina Pfeiffer (punctum, Bonn), 21.09.2006