Auf der Flucht über das Mittelmeer fast ertrunken, schwört sich Francis, ein guter Mensch zu werden. Doch in Berlin, wo er schließlich strandet, ist er als Geflüchteter aus dem westafrikanischen Guinea-Bissau nur ein Mensch zweiter Klasse. Nach erster illegaler Beschäftigung als Tagelöhner auf einer Baustelle gerät er durch den Kleinkriminellen Reinhold in die Halbwelt von Drogenhandel und Prostitution. Als Dealer und Zuhälter macht Francis zwischenzeitlich Karriere und findet in der gutherzigen Prostituierten Mieze eine Geliebte, wird aber immer wieder auch ausgenutzt und betrogen. Insbesondere Reinhold, mit dem ihn eine eigentümliche Beziehung von Freundschaft und Eifersucht verbindet, bildet eine ständige Quelle der Gefahr. Nach einer fatalen Entwicklung steht Francis endgültig vor der Wahl.
Alfred Döblins Großstadtroman "Berlin Alexanderplatz", erschienen im Jahr 1929, zählt zu den modernen Klassikern der deutschen Literatur. In Burhan Qurbanis
Neuadaption wird aus der Hauptfigur, dem haftentlassenen Transportarbeiter Franz Biberkopf, die Person of Color Francis B. Wie sein literarisches Vorbild gerät auch Francis, von den Eindrücken der Metropole überfordert, auf die schiefe Bahn und scheitert immer wieder auf seiner Suche nach Wohlstand und Anerkennung. Auch zahlreiche narrative Elemente der avantgardistischen Buchvorlage lassen sich wiedererkennen. Dazu gehören die Aufteilung in fünf Kapitel, eine auf mehrere Charaktere verteilte Erzählstimme, die ganze Passagen fast unverändert zitiert, sowie eine komplexe Struktur von Vor- und
Rückblenden. Zugunsten einer traumartigen
Inszenierung wird die Ebene einer realistischen Darstellung immer wieder verlassen, etwa durch das Zusammenwirken von
Farbe und
Musik in stimmungsvollen
Nachtszenen. Expressiv stilisiert ist auch das Schauspiel insbesondere Reinholds, der als mephistophelischer Verführer Francis’ Schicksal bestimmt. Dank dieser betont visuellen Umsetzung wird die Literaturverfilmung, trotz einiger dramaturgischen Schwächen im Schlusskapitel, zu einem epischen Filmwerk von eigenem Rang.
Berlin Alexanderplatz, Trailer (© Entertainment One)
Für Fächer wie Deutsch, Geschichte und Politik bietet
Berlin Alexanderplatz eine Fülle von Anknüpfungspunkten. Unter politisch-historischen Aspekten zentral ist die Frage der Aktualisierung. Inwieweit ist eine proletarische Figur der Zwanzigerjahre kompatibel mit der Situation eines Geflüchteten im heutigen Deutschland? Wird die reale Situation staatenloser Migrant/-innen angemessen dramatisiert, oder nicht vielmehr das Stereotyp des kriminellen Afrikaners bedient? Zu diesem Punkt kann auch das
Interview auf kinofenster.de mit Regisseur Qurbani herangezogen werden, der als Sohn afghanischer Geflüchteter in Deutschland geboren wurde. Neben dem intermedialen Vergleich lohnt aber auch die Auseinandersetzung mit früheren Bearbeitungen. Insbesondere der frühe Tonfilm
Berlin Alexanderplatz (1931, R: Piel Jutzi) und Rainer Werner Fassbinders gleichnamige Fernsehserie (1979/80) gelten ihrerseits als Klassiker, die anhand ausgewählter Ausschnitte vorgestellt werden können.
Autor/in: Philipp Bühler, 10.07.2020
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