Früher war Edouard Saroyan ein gefeierter Konzertpianist. Doch nach dem Suizid seiner Ehefrau Thérésa flüchtete er in die Anonymität. Als Charlie Kohler spielt der schweigsame Mann nun in einer Pariser Tanzbar Klavier, teilt sich ab und an das Bett mit seiner Nachbarin Clarisse, die als Prostituierte arbeitet, und kümmert sich um seinen jüngsten Bruder Fido, der noch zur Schule geht. Als in der Bar eines Abends, verfolgt von den Gangstern Momo und Ernest, sein Bruder Chico auftaucht, gerät Charlie unversehens in die kriminellen Machenschaften seiner beiden älteren Brüder. Unterstützung findet er bei der Kellnerin Léna, die in ihn verliebt ist, um sein früheres Leben weiß und ihm aus seiner Lebenskrise helfen möchte. Tatsächlich beginnt Charlie sich ihr anzuvertrauen. Doch schnell holen die Ereignisse die zwei ein. Erst wird Fido von den Gangstern entführt, dann kommt es zu einer fatalen Schlägerei mit dem eifersüchtigen Barbesitzer Plyne, woraufhin Charlie und Léna in die Berge fliehen. Dort, im eingeschneiten Elternhaus von Charlie, finden schließlich alle Fäden zusammen. Und so treffen die Brüder Saroyan und Momo und Ernest zum Showdown aufeinander.
Mit seinem zweiten Spielfilm
adaptierte François Truffaut den US-amerikanischen Kriminalroman
Down There von David Goodis und erwies damit nicht nur dem
Film Noir die Ehre, sondern schuf auch einen provokanten Gegenentwurf zum erstarrten französischen "
Qualitätskino" der 1950er-Jahre: Ähnlich wie Jean-Luc Godard in
Außer Atem (1960), zu dem Truffaut das
Drehbuch schrieb, bricht der
Autorenfilmer in diesem Klassiker der
Nouvelle Vague mit den damals gängigen Erzählmustern und filmästhetischen Konventionen. Mit bewussten handwerklichen "Fehlern" wie Unterbelichtungen,
Jump Cuts, extravaganten Stilmitteln wie dem
Split Screen oder
Irisblenden unterläuft Truffaut immer wieder die vorherrschenden
Kontinuitätsregeln und den einhergehenden Illusionismus des etablierten Kinos. Zeitlos originell wirken die abrupten Stimmungswechsel und das Mixen von
Genres: Schwarzer Humor, die amüsant-groteske Zeichnung der Gangster Momo und Ernest und poetische Reflexionen über Liebe und Begehren lassen den Film ständig zwischen Krimi, Komödie und Melodrama changieren. Selbst die Rollenverteilung ist Teil des Spiels mit den Konventionen: Während der Protagonist – brillant gespielt von Charles Aznavour in einer seiner ersten Filmrollen – in Passivität verharrt, sind es die Nebenrollen, allen voran die Frauenfiguren, die den Fortgang der Handlung und das Schicksal Charlies in die Hand nehmen.
Schießen Sie auf den Pianisten ist experimenteller und fabulierfreudiger als Truffauts Debütfilm
Sie küssten und sie schlugen ihn (1959). Im fortwährenden Bruch der Konventionen stieß der Film zunächst auf wenig Begeisterung beim Publikum. Im Unterricht kann er heute als Schlüsselwerk der Nouvelle Vague und des frühen Autorenfilms wie auch als filmpraktische Fortführung von Truffauts Filmkritikertätigkeit analysiert werden. In seinem spielerischen Umgang mit Genreelementen eignet sich der Film, um etwa im Fach Kunst stereotype Darstellungen und Erzählformen des Unterhaltungskinos zu thematisieren. In diesem Zusammenhang bietet sich eine Figurenanalyse an, nicht nur des Antihelden Charlie Kohler, sondern auch der verschiedenen Frauenrollen, die Truffaut modellhaft angelegt hat, um bestimmte Typen von Liebes- und Paarbeziehungen zu reflektieren. Auch in dieser bei Truffaut häufig wiederkehrenden Thematik gibt sich der Film als persönliches Werk eines Autorenfilmers zu erkennen.
Arbeitsblatt zu Schießen Sie auf den Pianisten
Fächer: Deutsch, Französisch ab Klasse 9, ab 14 Jahren
Vor der Filmsichtung:
a) Mit seinem Debütfilm
Sie küssten und sie schlugen ihn (F 1959) wurde der französische Regisseur François Truffaut bekannt. Sein zweiter Spielfilm
Schießen Sie auf den Pianisten war als Hommage an das
Genre Film Noir gedacht.
Erschließt in Partnerarbeit, welche erzählerischen und filmästhetischen Mittel dieses Genre auszeichnen. Nutzt dazu folgende beide Quellen:
Kinofenster-Glossar und den
Hintergrundartikel.
Tauscht euch im Plenum aus und haltet die Ergebnisse fest.
b) François Truffaut gilt neben Jean-Luc Godard, Eric Rohmer, Claude Chabrol und Jacques Rivette als wichtigster Regisseure der Nouvelle Vague. Ab Ende der 50er-Jahre drehten diese Filmemacher mit leichteren Kameras, bisweilen auch mit
Handkameras. Diese waren deutlich lichtempfindlicher, was ermöglichte, an
Originalschauplätzen zu drehen. Der Einsatz von
Musik spielte eine wichtige Rolle – neben dem klassischen Score (der eigens für den Film komponierten, häufig symphonischen Musik) wurden in den Filmen auch Songs der Popkultur verwendet. Auch in der Erzähltechnik fanden sich Neuerungen. Motivische Zitate verwiesen auf andere Filme, die Zuschauenden sollten sich nicht einer Illusion hingegeben, sondern sich stets bewusst werden, dass sie einen Film sehen.
Seht euch folgende beiden
Szenen an, in denen Charlie Kohler nach Hause kommt und die Nacht mit einer Nachbarin verbringt (0:16:39-0:21:11) und Charlie und Lena sich auf dem Weg in die Provinz befinden (1:03:58-1:06:08). Untersucht, welche filmästhetischen Mittel dem Film Noir und welche der Nouvelle Vague zugeordnet werden können.
Hinweis: Die Timecodes beziehen sich auf die DVD-Fassung.
Während der Filmsichtung:
c) Achtet auf weitere filmästhetische Mittel, die dem Film Noir und der Nouvelle Vague zugeordnet werden können.
Nach der Filmsichtung:
d) Fasst die Handlung des Filmes als Text von etwa 120-150 Wörtern zusammen.
e) Vergleicht eure Ergebnisse der Aufgaben d) und c). Tauscht euch darüber aus, was euch besonders berührt und/oder überrascht hat. Warum würdet ihr den Film euren Freunden (nicht) empfehlen?
f) Recherchiert die Biografie des Hauptdarstellers Charles Aznavour. Nutzt folgenden
Artikel als Ausgangspunkt eurer Recherche. Erklärt, warum sich Aznavour als "Autodidakt" beschreibt.
g) Verfasst eine Filmkritik, die eure Ergebnisse aus den Aufgaben a-f) zusammenführt. Ihr könnt mit einem Aufgaben-Aspekt eurer Wahl beginnen, beispielsweise mit der Zusammenfassung der Handlung. Am Ende des Textes sollte in jedem Fall euer Urteil (Aufgabe e) stehen.
h) Stellt euch eure Filmkritiken gegenseitig vor und gebt einander kriterienorientiertes Feedback.
Autor/in: Lisa Haußmann (Filmbesprechung), Ronald Ehlert-Klein (Arbeitsblatt), 03.02.2022
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