Zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs begibt sich der französische Filmemacher Alain Resnais auf die Spuren der Verbrechen in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern. In der Dokumentation
Nacht und Nebel zeichnet er anhand von historischen Bilddokumenten und eigenen Aufnahmen vom Gelände des einstigen Lagers Auschwitz-Birkenau das Geschehen chronologisch nach: die Entstehung der Lager, die Deportation der unter dem NS-Regime verfolgten Bevölkerungsgruppen, den Lageralltag, die Überlebensstrategien der Häftlinge und ihre systematische Ermordung. Der Film endet mit einer Warnung an die Zuschauenden vor einer möglichen Wiederholung dieser Ereignisse und appelliert an deren Wachsamkeit.
Resnais wählt für diesen Film eine essayistische Herangehensweise, die nicht auf eine Überwältigung des Publikums durch Schreckensbilder zielt, sondern Raum zur Reflexion lässt. Die
Montage verhindert das Eintauchen in eine homogene Filmwelt, indem
Nacht und Nebel farbige Sequenzen des verwilderten Lagergeländes mit teils schwer ertragbaren schwarzweißen Archivbildern von verstümmelten, kranken und toten Menschen kombiniert. Ebenso "auf Abstand" halten die von Hanns Eisler komponierte kontrapunktische
Filmmusik und der getragene Duktus des
Off-Kommentars, verfasst vom Dichter Jean Cayrol, in der deutschen Fassung von Paul Celan, beides KZ-Überlebende. Gleichzeitig verbinden Match-Cuts, Kommentar und Musik die Bilder verschiedener Orte und Epochen zu einem zeitlosen Lagerkosmos. Die Vergangenheit wird als unabgeschlossene Zeit präsentiert, die untrennbar mit der Gegenwart verwoben ist.
Mit
Nacht und Nebel realisierte Resnais ein Kunstwerk, das wegweisend für die filmische Beschäftigung mit NS-Verbrechen war und die Gattung Dokumentarfilm neu auslotete. Über die eindringliche Veranschaulichung des Geschehens in den Vernichtungslagern hinaus reflektiert der Film implizit durch seine Machart und explizit im Off-Kommentar die Unmöglichkeit, den Schrecken des Holocaust medial zu vermitteln. Anknüpfend an eine Analyse des Films sowie an Recherchen zu seiner bewegten Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte lässt sich im Unterricht etwa erörtern, wo die Grenzen und Möglichkeiten dokumentarischer Bilder liegen, um über Menschheitsverbrechen zu informieren, den Opfern zu gedenken und für demokratische und humane Werte zu sensibilisieren. Abschließend bietet es sich an, den Schlussappell des Films näher zu betrachten und zu diskutieren, inwiefern die Vergangenheit junge Menschen heute betrifft.
Aufgabe: Arbeitsblatt zum Film Nacht und Nebel (F 1955, Alain Resnais)
Fächer: Deutsch, Geschichte, Ethik, Sozialkunde ab 15 Jahren
Vor der Filmsichtung:
a) Beschreibt das folgende Bild möglichst genau.
b) Seht euch nun folgende Standfotos an und rekonstruiert, was in dieser
Sequenz des Dokumentarfilms
Nacht und Nebel dargestellt wird.
c) Erörtert im Plenum, warum Regisseur Alain Resnais mit einer
Montage von
Farb- und Schwarz-Schweiß-Bildern arbeitet.
d) Tauscht euch darüber aus, was der Filmtitel
Nacht und Nebel bedeuten könnte. Vergleicht eure Vermutungen mit dem
Artikel auf Deutschlandfunk Kultur.
Während der Filmsichtung:
e) Achtet darauf, mit welchen filmästhetischen (beispielsweise Montage,
Bildkomposition,
Kameraeinstellungen,
Musik) und erzählerischen (beispielsweise
Voice-Over) Mitteln Regisseur Alain Resnais arbeitet.
Achtung: Ihr dürft jederzeit die Augen schließen oder den Raum verlassen.
Nach der Filmsichtung:
f) Tauscht euch darüber aus, was euch besonders berührt hat.
g) Vergleicht eure Ergebnisse der Aufgabe e) und erläutert die Wirkung der verwendeten Mittel.
h) Für den französischen Voice-Over-Text zeichnet der Autor Jean Cayrol verantwortlich, für die deutsche Bearbeitung Paul Celan. Die Filmmusik wurde von Hanns Eisler komponiert. Recherchiert arbeitsteilig deren Biografien und stellt diese einander im Plenum vor.
i) Als der Film 1956 für die Filmfestspiele Cannes nominiert wird, regt sich Protest. Stellt Vermutungen an, wer (Personen oder Initiativen) warum etwas gegen die Programmierung dieses Festivalbeitrags gehabt haben könnte.
j) Der deutsche Botschafter in Frankreich protestierte erfolgreich gegen die Aufführung des Films im Wettbewerb des Festivals in Cannes. Ein Vertreter des Bundesinnenministeriums gab später an, das Zeigen des Films könne nur allzu leicht dazu beitragen, den durch die nationalsozialistischen Verbrechen erzeugten Hass gegen das deutsche Volk in seiner Gesamtheit wiederzubeleben.
Stellt euch vor, ihr kuratiert eine Filmreihe oder ein Festival, bei dem ihr
Nacht und Nebel zeigen wollt. Daraufhin regt sich ein ähnlicher Protest. Bereitet eine Stellungnahme vor, in der ihr – anders als 1956 in Cannes – begründet, warum ihr
Nacht und Nebel auf jeden Fall zeigen werdet und warum der Film ein wichtiger Beitrag für die Erinnerungskultur ist. Bezieht dabei auch die Ergebnisse aus Aufgabe h) und die Warnung am Ende des Films in eure Argumentation ein. Lest euch zur Vorbereitung eurer Stellungnahme folgenden
Hintergrundartikel auf kinofenster.de durch).
k) Präsentiert euch eure Beiträge und gebt einander kriterienorientiertes Feedback.
Autor/in: Marguerite Seidel (Besprechung), Ronald Ehlert-Klein (Arbeitsblatt), 25.02.2016
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