Seit Jahrzehnten konzentriert sich die Berliner Stricherszene an jenem sozialen Brennpunkt, dem das Drogendrama
Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (Uli Edel, Deutschland 1981) ein skandalträchtiges Denkmal setzte. Der Dokumentarfilm, mit dem Rosa von Praunheim entsprechende Klischees abbauen will, porträtiert fünf ehemalige Strichjungen in beispielhafter Absicht. Im Zentrum steht Daniel, aus zerrütteter Familie und heute 28, den neben der Aussicht auf das schnelle Geld auch die Abenteuerlust trieb. Während er dank sozialer Hilfsprojekte für das Leben danach gerüstet scheint, sind Andere durch traumatische Erlebnisse und eine dauerhafte Existenz am gesellschaftlichen Rand seelisch gebrochen.
Die so unterschiedlich verlaufenen Stricherkarrieren illustrieren die Bandbreite des Themas. Eine Romantisierung liegt dem Regisseur so fern wie das Motiv der Abschreckung. Vielmehr verbindet der in einfacher
Handkameraoptik und weitgehend ohne
Musik produzierte Film seine nüchterne Betrachtung mit einem hohen Maß an Empathie. Drei der fünf Interviewpartner sind Roma, die neben der ethnischen Diskriminierung nun noch die zusätzliche Last sexueller Scham zu tragen haben. Zu Wort kommen außerdem freiwillig organisierte Streetworker, die sich vor allem um stabile Lebensverhältnisse und Aidsprävention bemühen, sowie offen sprechende Freier, die ihre zum Teil langjährigen Beziehungen mit Strichjungen als Modell gegenseitiger Fürsorge betrachten. Die Vielfalt der Aussagen stellt das Thema in einen breiteren, gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang.
Die sozialen Erscheinungsformen und Hintergründe männlicher Prostitution sind der breiten Bevölkerung nahezu unbekannt. Der Film betreibt im besten Sinne Aufklärung und erlaubt vergleichsweise leichten Zugang zu einem heiklen Thema. Im Unterricht können zunächst die unterschiedlichen Motive der Protagonisten erörtert werden. Weiterhin sollten sich die Schüler und Schülerinnen mit den psychischen Folgen befassen, die eine frühzeitige Sexualisierung und das Geschäft mit dem eigenen Körper mit sich bringen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit körperlicher Selbstbestimmung, ein zentrales Thema in der jugendlichen Entwicklung, als logische Folge. Dass der Film auf die Schilderung unmittelbar sexueller Handlungen verzichtet, sollte die Arbeit erleichtern. Allerdings kommen auch andere schwierige Themen wie Pädosexualität und Drogensucht zur Sprache.
Autor/in: Philipp Bühler, 23.02.2011
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