Kategorie: Sequenzanalyse
Die Lichtgestaltung in "Wenn das Licht zerbricht"
Licht und Schatten, Nähe und Distanz – mithilfe der Lichtgestaltung in "Wenn das Licht zerbricht" wird auch etwas über die zwischenmenschlichen Beziehungen der Figuren erzählt.
"Ljósbrot", der isländische Originaltitel des Dramas Zum Filmarchiv: "Wenn das Licht zerbricht " (Rúnar Rúnarsson, IS/NL/HR/FR 2024), bedeutet wörtlich übersetzt "Lichtbrechung" – ein Begriff aus der Physik, der auf den Film bezogen metaphorisch zu verstehen ist. Der deutsche Verleih setzt in Anlehnung an den internationalen Titel "When the Light Breaks "auf die poetischer klingende Wendung "Wenn das Licht zerbricht". Beide Varianten verweisen unmittelbar auf die herausgehobene Rolle des Lichts, das im Film als Gestaltungsmittel von zentraler Bedeutung ist – nicht nur, weil die Handlung im Verlauf eines langen Polartags in Reykjavík spielt, sondern weil der Regisseur Rúnar Rúnarsson die Zum Inhalt: Lichtgestaltung gezielt nutzt, um die Beziehungen der Figuren zueinander zu konturieren. Mal unterstreicht das Licht ihre Nähe, mal ihre Distanz zueinander, mal deren Überwindung.
Die Nähe zweier Liebenden
Schon in der ersten Zum Inhalt: Einstellung ist das Licht ein nicht zu übersehendes Gestaltungselement. Wir schauen über die Schultern der am Meer sitzenden Una, im Hintergrund dominiert das malerische Farbspiel des Sonnenuntergangs. "Una... Una...", meldet sich Diddi aus dem Off zu Wort (Glossar: Zum Inhalt: Off-/On-Ton), woraufhin die Kamera auf ihn schwenkt (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) und das Licht der Sonne in der Kameralinse reflektiert.
Das warme Sonnenlicht visualisiert die Geborgenheit, die sich die Verliebten gegenseitig geben, hebt die Friedlichkeit des Moments hervor. Der Verzicht auf Zum Inhalt: Filmmusik unterstreicht zudem die Intimität und Lebensnähe der ruhig gefilmten Zum Inhalt: Szene, in der das sanfte Rauschen des Meeres zu hören ist (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound-Design). Die eröffnenden Momente mit dem Liebespaar am Meer etablieren den Zustand des Glücks, dessen Verlust den restlichen Film prägen wird. Außerdem ist die Eröffnungssequenz wie viele folgende Zum Inhalt: Sequenzen des Films als Zum Inhalt: Plansequenz angelegt, was die unmittelbare und auf das Erleben der Charaktere fokussierte Darstellungsweise des Films ankündigt. Auch der Kameraschwenk von Una, die erst allein zu sein scheint, auf Diddi, ist eine mit Bedeutung aufgeladene Bewegung, die sich im Film wiederholt, wenn die Kamera immer wieder Una sucht.
Nach der Eröffnungsszene wird in drei weiteren Szenen innerhalb von rund acht Filmminuten die Beziehungskonstellation zwischen Una und Diddi geklärt. Abgeschlossen wird die Eröffnungssequenz von einer langen Kamerafahrt entlang der Lichter eines Tunnels zu einem sakral anmutenden Musikstück des 2018 verstorbenen isländischen Komponisten Jóhann Jóhannsson. Erst am Ende dieser Plansequenz, nachdem ein Feuerball durch den Tunnel fegt, erfolgt die Titeleinblendung.
Una und Klara – Distanz und Annäherung im Halbdunkel
Konträr zur Zum Inhalt: Exposition, in der das Licht die Verbundenheit des Liebespaars sichtbar macht, steht eine spätere Szene, in der die beiden jungen Frauen Una und Klara im Toilettenraum einer Bar aufeinandertreffen. Klara weiß nicht, dass der tödlich verunglückte Diddi auf dem Weg zu ihr war, um mit ihr Schluss zu machen, weil er sich in Una verliebt hat. Der in der ersten Szene präsente Himmel bleibt nun außen vor, stattdessen dringt durch die Oberfenster nur eine Ahnung von Licht in den Raum. Die halbdunkle Lichtgestaltung ist damit deutlich kühler und wirkt weniger behaglich.
Das augenfälligste Element des Szenenbilds (Glossar: Zum Inhalt: Bildkomposition) ist der breite Spiegel, vor dem Una und Klara stehen. Spiegelungen tauchen leitmotivisch wiederholt im Film auf, was den Fokus auf das Innenleben der Charaktere legt und zugleich die Struktur des Films reflektiert, dessen Ende mit einer veränderten Figurenkonstellation den Anfang spiegelt.
Una und Klara stehen parallel nebeneinander vor dem Spiegel. Una hadert merklich mit der Situation, während zunächst allein Klara über den Verlust ihres Freundes spricht. Interessant ist der Moment, in dem Klara Una Trost suchend in die Arme fällt. Die Kamera schwenkt schnell mit, als sei sie ebenso überrascht von der plötzlichen Umarmung wie Una. Der Schwenk auf Diddi in der Eröffnungsszene war im Vergleich viel ruhiger. So vermittelt die ästhetische Gestaltung Unas Wahrnehmung und verdeutlicht die Distanz und Fremdheit zwischen Klara und ihr.
Aus dem Schatten ins Licht
Dass ein Einvernehmen zwischen den ungleichen jungen Frauen möglich ist, deutet ein weiterer gemeinsamer Auftritt von Una und Klara an. Die Sequenz spielt unter freiem Himmel vor einer Kirche, in der ein Gedenkgottesdienst für die Opfer der Brandkatastrophe stattfindet. Klara, die für Diddis und Unas Studieninhalte nur wenig Verständnis aufbringen kann, spricht eine Kunst-Performance an, deren Bedeutung Diddi ihr eigentlich noch erklären wollte. An seiner Stelle übernimmt das nun Una, die in dieser Szene mehr Redeanteil hat als bei der vorherigen Begegnung.
In der zweiten Einstellung der Sequenz stehen die beiden nicht mehr nebeneinander, sondern seitlich im Profil gefilmt hintereinander. Markant ist die folgende subjektive Perspektive von Klara (Glossar: Zum Inhalt: Subjektive Kamera), deren Blick nach oben gerichtet ist. Im unteren Bildrand dominiert die im Schatten liegende Kirchenfassade, im oberen der blaue Himmel. Als sich Klara rückwärts gehend von der Kirche entfernt, nachdem zuvor bildlich die Illusion eines Flugs vermittelt wurde, scheint ihr beim Heraustreten aus dem Schatten das Licht der Sonne ins Gesicht. Die veränderte Stimmung zwischen Una und Klara drückt sich also zugleich in der Lichtstimmung aus.
Die Abschlussszenen des Films spiegeln den Anfang mit Una und Diddi und verweisen noch einmal deutlich auf die Verknüpfung zwischen der Inszenierung des Lichts und der Figurenzeichnung. Als Una und Klara den Sonnenuntergang an der Küste betrachten, sagt Klara: "Das ist gerade so, als ob Diddi die Sonne wäre, und wir uns von ihm verabschieden." Der abschließende Kameraflug über das Meer und das sich darin spiegelnde Licht zur sakralen Musik aus der Tunnelszene rückt das Licht der Sonne abermals ins Zentrum, das somit zur ästhetischen Klammer avanciert.