Carla Nowak hat gerade erst als Lehrerin angefangen, als an ihrem Gymnasium ein Klima des Misstrauens aufkommt. An der Schule haben sich mehrere Diebstähle ereignet. Betroffen sind unter anderem Lehrkräfte, die Täter/-innen werden in der Schülerschaft vermutet. Das Vorgehen im Kollegium, von der Schulleitung als Null-Toleranz-Politik gelabelt, findet Carla mehr als problematisch: Der Klassensprecher und die Klassensprecherin ihrer siebten Klasse werden zur Denunziation aufgefordert, die Portemonnaies der ganzen Lerngruppe durchsucht und schließlich fällt ein falscher und diskriminierender Verdacht auf den Schüler Ali. Doch Carlas Versuch, den Fall mit einem Köder und einer heimlichen Videoaufzeichnung im Lehrerzimmer aufzuklären, verschärft die Lage nur. Das Video belastet die Sekretärin Friederike Kuhn, die den Diebstahl vehement abstreitet. Das Gerücht verbreitet sich in der Schule und verstört vor allem Kuhns Sohn Oskar, einen talentierten Schüler aus Carlas Klasse.
Der Regisseur İlker Çatak hat mit
Es war einmal Indianerland (DEU 2017) und
Räuberhände (DEU 2020) bereits zwei Filme über Jugendliche vorgelegt, widmet sich dem Mikrokosmos Schule in
Das Lehrerzimmer aber ganz aus der Perspektive der Erwachsenen. Getragen wird der Film durch eine starke Leistung von Leonie Benesch in der Hauptrolle. Die Konfliktlinie zwischen Idealismus, systemischem Versagen und Mitverantwortung ist in ihrer Darstellung in jeder
Szene spürbar. Kamerafrau Judith Kaufmann verengt die
Bildkompositionen durch das
4:3-Format und eine meist geringe
Schärfentiefe oft auf die Protagonistin; selbst in den mit
Steadycam realisierten
Kamerabewegungen durch die Gänge der Schule weitet sich der Blick kaum, da die Kamera meist nah am Körper von Leonie Benesch bleibt.
Dramaturgisch effektvoll erweist sich die Entscheidung, die gesamte Handlung am
Schauplatz des Schulgebäudes zu verdichten. Als moralische Erzählung hat der Film jedoch die Schwäche, dass die dargestellte Null-Toleranz-Politik im heutigen Bildungssystem wenig glaubwürdig erscheint und die Übertragung auf größere Gesellschaftsdebatten (Fake News, "Cancel Culture") ziemlich bemüht wirkt.
Von diesem Einwand abgesehen, weist
Das Lehrerzimmer doch eine Reihe von interessanten Aspekten für die Filmbildung auf. Das für Schüler/-innen vertraute Setting und der auf Handlungsebene leicht zu verstehende Konflikt erfordern keine thematische Vorbereitung, so dass ein Fokus der Filmanalyse auf formale Stilmittel gelegt werden kann. In vier Gruppen können die Schüler/-innen zum Beispiel Beobachtungsaufgaben für Schauspiel, Bildgestaltung,
Montage, Dramaturgie und
Musik mit in die Filmsichtung nehmen. Wie erzeugt İlker Çatak in seinem Film Spannung? Welche Schlüsse lässt die Kamera auf den tatsächlichen Akt des Diebstahls zu? Durch den Fokus auf die Lehrerin Carla erfordert der Film für Schüler/-innen einen Perspektivwechsel, der in einer Figurenanalyse bearbeitet werden kann. Wie versteht Carla ihre Rolle und in welche Konflikte gerät sie – zum Beispiel mit dem Kollegen Liebenwerda und dem Schüler Oskar? Nicht zuletzt gibt der Film Anlass zur Diskussion über die Schule als Raum, in dessen Machtstrukturen Konflikte wie dieser zwischen Lehrenden und Lernenden anders gelöst werden müssen. Aber wie?
Autor/in: Jan-Philipp Kohlmann, 04.05.2023
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