Seinen Platz im Leben finden
Nico, Tino und Oli sind gute Freunde. Sie leben in Buckow, einem malerischen Kurort unweit von Berlin. Die Jugendlichen kommen weitgehend aus geordneten Familienverhältnissen, haben aber dennoch große Schwierigkeiten, ihren Platz im Leben zu finden: Nico hat seine Ausbildung abgebrochen, ist arbeitslos und verbüßt eine Bewährungsstrafe. Sein großer Wunsch ist es, als Rapper erfolgreich zu sein. Eine CD seiner HipHop-Band Preußisch Gangstar wird gerade veröffentlicht und er tritt mit seiner Musik live auf Partys auf. Von den drei Freunden hat er das größte Gewaltpotential und wird leicht handgreiflich. Oli hat Drogenprobleme, arbeitet in einem Szenelokal und träumt davon, einen eigenen Club zu eröffnen. Seine Freundin Jessica hingegen möchte aus Buckow wegziehen und hat gerade eine Abtreibung hinter sich – Konfliktthemen, die von beiden totgeschwiegen werden. Tinos wiederum baut Frust und Aggressionen beim Motocrossfahren und Kickboxen ab – sein Hauptschulabschluss ist aufgrund seiner dauerhaft schlechten schulischen Leistungen gefährdet.
Zwischen Kindheit und Erwachsenwerden
Der Film des Regie-Duos Irma-Kinga Stelmach und Bartosz Werner zeigt zwei Tage und Nächte aus dem Leben der drei jungen Männer. Obwohl in einer Jugendszene angesiedelt, die sich mit der afroameri-
kanischen Subkultur des HipHop identifiziert, wirkt der Film universell und zeitlos: Authentisch beschreibt er die Bruchstelle zwischen Kindheit und Erwachsenwerden als ein Lebensgefühl, in dem sich Wut und Freiheits-
drang, Selbstbestimmtheit und Orientierungslosigkeit mischen und die Erwartungshaltung der Erwachsenen mit den eigenen Zukunftsträumen kollidiert. Nicht wenige Jugendliche nehmen sich in dieser Zeit als gesellschaftliche Außenseiter wahr und kompensieren mit Gewaltausbrüchen und Drogenexzessen eine tiefe Verunsicherung und Hoffnungslosigkeit. Trotz der Allgemeingültigkeit der Problematik lässt sich nicht verleugnen, dass die Ausgangssituation für junge Menschen in einer wirtschaftlich schwachen Region wie Brandenburg besonders prekär ist. Dennoch handelt es sich bei
Preußisch Gangstar weniger um eine Milieustudie als um den Versuch, die innere Verfasstheit der Figuren sichtbar zu machen. Der Film blickt hinter ihre coolen Fassaden, ihre von US-Rappern übernommene "toughe" Attitüde mit den in der HipHop-Szene üblichen schweren Goldketten, dicken Ringen und der teuren Marken-Sport-Kleidung.
Ein klassischer Generationenkonflikt
Geschickt umgehen die Filmemacher/innen gängige Klischees und vereinfachende Erklärungsmuster: Das familiäre Umfeld der Jungs ist keineswegs "problema-tisch" und von Arbeitslosigkeit, Alkoholismus oder Gewalt bestimmt, allerdings zeigt sich eine offen-
kundige Unfähigkeit, Konflikte miteinander zu disku-
tieren. Nico, dessen Mutter in Westdeutschland lebt, pflegt zu seinen Großeltern ein liebevolles, wenn auch nicht ganz offenes Verhältnis: Dass ihm die Arbeitsagentur aufgrund fehlender Eigenbemühungen eine mehrmonatige Geldsperre auferlegt hat, verschweigt er ihnen. Tinos Eltern und Olis Mutter stehen der scheinbar gleichgültigen Lebenseinstellung ihrer Söhne ratlos gegenüber. Spürbar wird allerdings, dass sich beide Seiten, die Erwachsenen und die Jugendlichen, nach gegenseitiger Nähe sehnen, ihre Empfindungen aber nicht kommunizieren können – ein klassischer Generationenkonflikt. Dabei beweisen Nico, Tino und Oli durchaus ein gewisses Maß an Selbstreflexion: Als zu Beginn des Films die Protagonisten durch eine Montage von Kindheits- und Jugendfotos vorgestellt werden, diskutieren sie im Off über ihre Vorstellung von Glück, über ambitionierte und erreichbare oder auch unrealistische Zielsetzungen in ihrem Leben.
Eindruck von Authentizität
Die Geschichte orientiert sich an den Lebenserfahr-
ungen der Hauptdarsteller, die wie die Figuren, die sie verkörpern, aus Buckow stammen und befreundet sind. Robert Ohde, der den Nico spielt, rappt auch in Wirklich-
keit in der Buckower HipHop-Formation Preußisch Gangstar. Die kalte und dunkle Vorweihnachtszeit unterstreicht den Zustand der Entfremdung in den Familien. Der Spielfilm wirkt dokumentarisch, die Inszenierung ist kaum spürbar. Wie bei den Filmen der 1995 in Dänemark gegründeten puristischen Dogma-Bewegung, wurden eine
Handkamera und ausschließlich natürliche Licht- und Tonquellen benutzt. Die Dialoge entstanden durch Improvisation. Wenn Oli seine Freundin Jessica im Auto kurz auf ihre Abtreibung anspricht, Tino in der Schule seine Lehrerin mit Vorwürfen traktiert oder Nico auf dem Arbeitsamt einen Sachbearbeiter attackiert, scheint das Publikum reale Situationen mitzuerleben. Dieser Eindruck von Echtheit wird auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen spürbar, nicht zuletzt in der gegenseitigen Freundschaft, die Oli, Nico und Tino Halt bietet. Obwohl sie ganz unterschiedliche Adoleszenz-Probleme haben, verstehen sie sich auch ohne Worte und stehen in jeder Situation, zuverlässig füreinander ein. Sie werden von den Freunden angenommen, wie sie sind, und müssen sich in deren Beisammensein nicht verstellen oder selbst schützen. Mit dieser altersspezifischen, loyalen Freundschaft enthält der Film einen wunderbaren und ergreifenden Aspekt, der dem schmerzvollen und aufreibenden Prozess des Erwachsenwerdens etwas den Schrecken nimmt.
Autor/in: Stefanie Zobl, 06.09.2007