Der gute Geschmack – Erziehungsmodell Medien
Medienschelte im Blätterwald, Horrorszenarien über die Gewaltbereitschaft nach intensivem Medienkonsum in der populärwissenschaftlichen Literatur. Es heißt, Reizüberflutung durch die Medien könnten u. a. zu Konzentrationsschwäche und Lernstörungen führen. Brauchen Kinder einen medialen Schutzraum? Medien sind relevante Bestandteile des Alltags von Kindern. Von daher ist es erforderlich, die Mediennutzung aus der jeweiligen Perspektive von Kindern zu verstehen: Man muss bei der Erfahrung von Kindern ansetzen und die Bedeutung von Medienprodukten in ihren unterschiedlichen Lebenswelten in den Vordergrund stellen. Das bildet eine sinnvolle und notwendige Ergänzung der häufig einseitigen Fragestellung nach den Wirkungen der Medien auf Kinder. Es gilt zu berücksichtigen, dass Kinder nicht automatisch die passiven Opfer des Medienkonsums sind, sondern Medien aktiv verwenden, um ihren individuellen Medienalltag zu gestalten.
Der filmische Raum wird durch den Wechsel von Perspektiven und Einstellungsmöglichkeiten beschrieben und erzeugt damit seine eigene Welt. Die sich daraus ergebenden Bildinhalte erzeugen bei dem Betrachter individuelle Bedeutungen. Zwar kann man allgemein gültig davon ausgehen, dass durch das filmische Mittel etwa der Großaufnahme eine stärkere Identifikation und emotionale Anteilnahme mit den Inhalten entsteht und im Gegensatz dazu eine distanzierte, rationale Einstellung bei Totalen. Ein schnellerer Schnitt beschleunigt die Dramatik und Spannung, und Musik verstärkt die emotionale Wirkung eines Films. Ebenso klar ist, dass bei der 'Wirkung' von Filmen Identifikation und Projektion mit Protagonisten und Inhalten eine wichtige Rolle spielen. Und doch sind formale Gestaltungsmittel und Medieninhalte keine isolierten Wirkungsfaktoren: Die Art und Intensität von Medienverarbeitung stehen im wechselseitigen Verhältnis von individuellen Voraussetzungen der Kinder, ihrer Umwelt und den Medieninhalten.
Nach heutigem Erkenntnisstand muss das Filmerleben von Kindern als ständiger Prozess einer differenzierter werdenden Informationsverarbeitung angesehen werden, wobei Lebensalter, Entwicklungsstand und jeweilige Vorerfahrung Einfluss nehmen. Hierbei spielt die Familie als primäre Sozialisationsinstanz eine wichtige Rolle. Denn Medien haben ihren festen Platz im Kommunikationsgefüge von Familien. Es geht dabei weniger um Inhalte, sondern vielmehr darum, welche Bedeutungen und Funktionen den Medien zugewiesen werden.
Die Lust am Sehen, das Interesse am bewegten Bild, die Neugierde auf gute Geschichten und Darstellungen machen die Faszination von Filmen aus. Der Bedarf nach niveauvollen, attraktiven Kinderfilmen, die Kinder ernstnehmen und ihnen interessante Geschichten bieten, ist groß. 'Qualitätsfilme' bieten Kindern die Möglichkeit zur kreativen Aneignung von 'Welt'. Sie können die Fantasie und den Ideenreichtum von Kindern fördern, ihr Wissen bereichern und zum besseren Verständnis anderer Lebenswelten beitragen. Sicher kann das nicht jeder Film erfüllen, sondern verschiedene Aspekte werden unterschiedlich zur Geltung kommen. Eltern, Erzieher und Pädagogen können in ihrer Funktion als Vorbilder und Agenten des guten Geschmacks ihren Kindern bei der Auswahl und dem Verständnis behutsam zur Seite stehen. Der gute Geschmack erfordert geschulte Sinne.
Autor/in: Iris Loos (Medienpädagogin), 12.12.2006