Für streng gläubige Muslime war das Kino wie andere Formen des Vergnügens Sünde. In der Folge der Islamischen Revolution von 1979 wurden im Iran unzählige Kinosäle zerstört. Zwanzig Jahre später bringt der iranische Filmautor Majid Majidi (phonetische Schreibweise im Deutschen: Mädschid Mädschidi) die Kraft und Schönheit der Schöpfung just über die Kinoleinwand zur Darstellung.
Ein falscher Titel
Zu Recht bereut es Majidi, dass er zustimmte, den Filmtitel für das Ausland zu ändern. Aus dem persischen Originaltitel
Rang-e Choda, was "Die Farbe Gottes" heißt, wurde der internationale Verleihtitel
Colour of Paradise. Ausschlaggebend für die Titeländerung war die Befürchtung, ein ausländisches Publikum könnte einen iranischen Film mit Gott im Titel als missionarisches Machwerk abstempeln. Doch der jetzige Titel ist irreführend. Nicht die Verheißung vom Paradies nach dem Tod ist das Thema, sondern die irdische Schöpfung, die Schönheit des Hier und Jetzt.
Vom Pech verfolgt
Colour of Paradise erzählt von einer ärmlichen Existenz, auf die nach der Läuterung Licht fällt. Der alleinstehende Haschem hat kaum genug zum Leben. Nach dem Tod seiner Frau hat er alle Hände voll zu tun, sich, seine Mutter, seine zwei Töchter und den von Geburt an blinden Sohn, der in der Stadt in eine Blindenschule geht, durchs Leben zu bringen. In seinem Broterwerb spiegelt sich Haschems pessimistische Lebenseinstellung: Als Köhler macht er aus Holz pechschwarzes Bruchwerk.
Bewährungsprobe
Soll er da noch die Bürde auf sich nehmen und seinen Sohn Mohammad im Sommer zu sich aufs Land holen? Widerwillig gibt er nach. Doch aus der Sicht Haschems, der wieder heiraten will, wird alles nur noch schlimmer. Da stirbt seine Mutter und urplötzlich lehnt die Familie seiner Zukünftigen die Heirat kategorisch ab. Ist sein blinder Sohn die Ursache für die Pechsträhne? Haschem hadert. Da kommt es zur Bewährungsprobe: Unterwegs im Wald bricht eine Holzbrücke ein; die Fluten reißen Sohn und Pferd mit. Soll Haschem seinen Sohn retten oder wäre es für alle besser, wenn er ertrinkt?
Mit Blindheit geschlagen
Nicht Mohammad ist wirklich blind, sondern sein Vater, der nur die düsteren Seiten des Lebens wahrnimmt. Im Spannungsfeld zwischen Sehen und Erkennen baut Majidi zwischen Vater und Sohn eine Beziehung zwischen den Generationen auf, ohne die keine der beiden weiter käme. Weil er physisch nicht sehen kann, ist Mohammad vom Vater abhängig. Und ohne es wahrhaben zu wollen, ist auch der Vater auf Mohammad angewiesen: Denn ohne die Anwesenheit seines Sohnes würde Haschem nie zur Erkenntnis finden. Die Last wird zum Nährboden der Erkenntnis.
Wandel der Gesellschaft
Im Iran ist die Rolle Mohammads gesellschaftlich bedeutend. Zum einen taucht dort die körperliche Behinderung immer wieder in Spiel- und Dokumentarfilmen auf, was als Sinnbild für den eingeschränkten gesellschaftspolitischen Spielraum verstanden wird. Zum andern übernehmen auf der Leinwand auffällig viele Kinder die Rolle der progressiven Kraft oder der Aufmüpfigen, was vor dem Hintergrund der Verhaltensvorschriften bis hin zur Zensur zu sehen ist, die erst in den letzten Jahren wieder gelockert wurde. Natürlich sind Kinder als treibende Kraft, die Veränderungen herbeiführen sollen, eine Kreation der Erwachsenen. "Wir zeigen den Kindern den Weg, den sie unserer Meinung nach gehen sollten", äußerte sich beispielsweise Ebrahim Forusesch zu seinem Film
Der Schlüssel (
Kelid, 1986), in dem ein Junge den ganzen Film lang nach dem Schlüssel sucht, der ihn aus der verschlossenen Wohnung befreien wird.
Gegenseitiger Respekt
Colour of Paradise ist ein "religiöser" Film. Majidi geht es aber nicht um den Glauben an einen bestimmten Gott, sondern um den pantheistischen Glauben in die Schöpfung: Welt und Gott sind eins. "Viele Menschen nehmen gegenüber Religiösem eine abwehrende Haltung ein, weil oft der Eindruck entstand, die verschiedenen Religionen würden sich gegenseitig ausspielen", sagt Majidi: "Die Ansicht, dass Erleuchtung einerseits und das Böse andererseits an bestimmte Orte gebunden seien, teile ich nicht. Gott ist allgegenwärtig und in allen Dingen präsent. Wenn wir uns gegenseitig respektieren, ist das ein religiöser Inhalt.
Der eigene Weg
Nirgends im Film tauchen die Worte, Zeichen und Regeln der einen oder anderen Religion auf. Vielmehr führen uns Majid Majidi und sein Kameramann Mohammad Davoodi durch die üppig schöne Landschaft im Norden Irans hin zur überhöhten Sinnlichkeit der Schöpfung. Die Pracht der Natur, die Farben des Sonnenlichts, der Bäume und Blumen oder des Wassers können wir im Kino sehen aber nicht riechen. Der blinde Mohammad dagegen kann all dies nicht sehen. So streckt er Nase und Hände aus, atmet den Geruch nassen Sandes, ertastet die Farbigkeit der Blumen. Mohammads Weg ist ein anderer als der von den Erwachsenen erdachte.
Autor/in: Robert Richter, 01.02.2001