Als die 19-jährige Lili aus den Sommerferien zu ihrer Familie zurückkehrt, ist ihr Zwillingsbruder Loїc, dem sie sehr verbunden ist, verschwunden. Gleichmütig erklärt ihr Vater, dass Loїc nach einem heftigen Streit das Elternhaus über Nacht verlassen habe. Vergeblich versucht die junge Frau per Handy, Kontakt mit ihrem Bruder aufzunehmen. Während ihre Eltern die Abwesenheit des Sohnes, der weiterhin kein Lebenszeichen von sich gibt, mit großer Gelassenheit aufnehmen, wird Lili immer verzweifelter. Schließlich verweigert sie jegliche Nahrungsaufnahme und wird in die Psychiatrie zwangseingewiesen. Mit rigiden Methoden versucht man dort, die neue Patientin zur Nahrungsaufnahme zu bewegen und nach einem gescheiterten Fluchtversuch wird sie zwangsernährt. Doch als ihre Situation immer auswegloser erscheint, erhält Lili eine Postkarte von Loїc mit der kurzen Nachricht: "Keine Sorge, mir geht’s gut". Nach weiteren Grußkarten aus unterschiedlichen Orten in der französischen Provinz macht sie sich auf den Weg, den Bruder zu suchen.
Die starke symbiotische Beziehung von Zwillingen bildet die dramatische Folie für Philippe Liorets packendes psychologisches Familiendrama. Im Mittelpunkt stehen nicht das Schicksal des Bruders, sondern die Auswirkungen seines plötzlichen Verschwindens auf seine Schwester und deren psychischer Zusammenbruch.
Keine Sorge, mir geht’s gut ist ein tiefgründiger Film über familiäre Strukturen und Generationenkonflikte, der zugleich die weit verbreitete Vorstellung, dass den Eltern grundsätzlich die Verantwortung für Glück und Unglück ihrer Kinder zuzuschreiben sei, durch überraschende dramaturgische Wendungen in Frage stellt. Gekonnt spielt Lioret dabei mit sozialen Vorurteilen und Klischees und sensibilisiert auf differenzierte Weise gleichermaßen für die inneren Befindlichkeiten von Jüngeren und Älteren. Am Rande gewährt der Film zudem erschütternde Einblicke in das starre System einer jugendpsychiatrischen Einrichtung, in der die Patienten/innen mit fraglichen Verordnungen behandelt und bis zur völligen Entmündigung bevormundet werden.
Autor/in: Kirsten Liese, 21.03.2007