Das amerikanische Unterhaltungskino läuft immer dann zu großer Form auf, wenn es versucht, den Alltag in der ritualisierten Form des Genrekinos abzubilden. Dabei erweisen sich simple Plots mit Happy-End-Garantie als erstaunlich robuste Vehikel einer Gesellschaftskritik, die sich nicht scheut, ihr Anliegen mit gewagten Vergleichen zu untermauern. Das klassische Highschool-Drama
Freedom Writers spielt in einer multi-ethnischen Problemschule in Long Beach. Hier trifft die neue Lehrerin Erin Gruwell auf den Nachwuchs der Verlierer des amerikanischen Traums. Als die ambitionierte Pädagogin eine rassistische Karikatur konfisziert, beginnt sie von antisemitischen Stürmerkarikaturen zu erzählen und weckt allmählich die Neugierde der gewaltbereiten Schüler/innen, sich mit einem menschenverachtenden System zu beschäftigen, von dessen monströsen Verbrechen sie bislang noch nie gehört haben. Gruwell liest mit den Jugendlichen die Autobiografie von Anne Frank und überzeugt sie, ihr eigenes Leben in Tagebüchern nachzuerzählen. Schon bald gelingt der gutbürgerlichen Perlenkettenträgerin, woran Generationen von Pädagogen und Pädagoginnen vor ihr gescheitert sind: Sie motiviert ihre Schulklasse zum Nachdenken über das eigene Handeln, zu Lernbereitschaft und gegenseitiger Solidarität.
Der Holocaust als brutaler Höhepunkt staatlich organisierter Gangkriminalität? Mit einer solchen Argumentation konfrontiert
Freedom Writers von Richard LaGravenese das Publikum. Doch Hohn und Spott über diese Story sind fehl am Platz. Zu sehr ist das aufrichtige Anliegen des Regisseurs zu spüren und zu nah scheint der Film an der Lebensrealität US-amerikanischer Armenghettos zu sein. Die Schwarzen gegen die Latinos, die Latinos gegen die Koreaner – es ist ein Kreislauf der Gewalt, der von einem blindem Chauvinismus angeheizt, längst zu einem selbst zerstörerischen Ritual geworden ist. In ihm sind Begriffe wie Respekt, den man verlangt, und Territorium, dessen Unverletzbarkeit gefordert wird, von zentraler Bedeutung. Spätestens hier muss erwähnt werden, dass Freedom Writers eine authentische Geschichte zugrunde liegt. Wie im Film verleitete die reale Person Erin Gruwell ihre Schüler und Schülerinnen, Tagebuch zu schreiben, und legte damit den Grundstein für ihren pädagogischen Erfolg. Eine zum Filmstart auf deutsch erschienene Textauswahl gibt ein erschütterndes Zeugnis vom Leben amerikanischer Unterschichtkinder. An jugendliche Lebenswelten knüpft auch der Soundtrack an, dem ein kongenialer Mix aus genretypischem Kitsch des Komponisten Mark Isham (
L. A. Crash; R: Paul Haggis; 2005) und Arrangements des Rappers und Hip-Hoppers RZA (
Kill Bill – Volume 2; R: Quentin Tarantino; 2003) gelingt.
Autor/in: Nicolaus Schröder, 28.03.2007