Filme sind auch Teil des kollektiven Gedächtnisses. Im Falle des Nationalsozialismus und des Holocaust halten sie die Erinnerung an jenes dunkle Kapitel in der Geschichte wach, dienen als Mahnung und als Warnung, können damit auch für gegenwärtige Ereignisse und Entwicklungen in der Gesellschaft sensibilisieren. Für die nachwachsenden Generationen, die diese Zeit nicht mehr aus eigener Erfahrung kennen, bieten Filme über reine Geschichtsdaten hinaus einen unmittelbaren emotionalen Zugang zur Geschichte. Manchmal bildet ein Film sogar die erste unmittelbare Annäherung überhaupt. Über die emotional gelenkte Rezeption des Kinofilms entwickelt sich idealer Weise auch ein neuer Anreiz, sich ausführlicher mit der Thematik zu beschäftigen, eigene Fragestellungen und Sichtweisen zu entwickeln. Die damalige Zeit bildete in jeder Hinsicht eine extreme Ausnahmesituation, für den Einzelnen wie insgesamt für alle Teile der Bevölkerung. Sicher ist das mit ein Grund, dass ältere wie jüngere Filmemacher den Nationalsozialismus und den Holocaust immer wieder neu als Filmstoff entdecken. Das ist gut und das ist wichtig. Allerdings wird man vor allem das junge Publikum nicht (mehr) mit jedem Film zu diesem Thema erreichen und der schon immer vorhandene psychische Widerstand, sich damit im jeweiligen Alltag auseinander zu setzen, darf keinesfalls unterschätzt werden. Ungewöhnlich viele dieser Filme starten in den nächsten Wochen und Monaten. Sie alle wollen ihr Publikum finden und wählen dafür unterschiedliche filmästhetische Formen, gehen von verschiedenen dramaturgischen Überlegungen aus. Einige dieser Werke stellt diese Themenausgabe zur Diskussion und geht auch der Frage nach, ob sie inhaltlich oder/und formal neue Aspekte aufgreifen und ob bzw. inwiefern sie zur Auseinandersetzung mit der Thematik insbesondere bei einem jüngeren Publikum heute anregen können. Allen vier Filmen ist gemeinsam, dass sie einzelne Schicksale in den Mittelpunkt stellen und diese Einzelschicksale exemplarisch auf persönliche (Mit-)Verantwortung abklopfen, egal ob es sich um einfache Menschen ohne politische Betätigung handelt, die zu Mitläufern wurden, um Kollaborateure mit den Deutschen, um echte oder angebliche Widerstandskämpfer, um mit allen Privilegien ausgestattete Künstler oder um hochrangige SS-Offiziere. Im tschechischen Film
Wir müssen zusammenhalten von Jan Hrebejk versteckt ein Ehepaar unter Lebensgefahr und unter großen persönlichen Opfern mehrere Jahre einen Juden in der eigenen Wohnung, dem die Flucht aus einem Konzentrationslager gelungen war. Die beiden kollaborieren trotz Ächtung durch die Nachbarschaft sogar mit den Deutschen, damit ihr "Geheimnis" nicht entdeckt wird. – István Szabó greift in seinem nach einem Theaterstück gedrehten Film
Taking Sides den authentischen Fall Furtwängler auf. Dem berühmten Dirigenten wird nach Kriegsende von amerikanischer Seite vorgeworfen, als Künstler zu viele Kompromisse mit der Nazi-Diktatur eingegangen zu sein. Ein amerikanischer Major bekommt den Auftrag, gerade an ihm als herausragendem Vertreter einer pervertierten Kultur ein Exempel zu statuieren und ihn seiner niederen Beweggründe und seiner Kollaboration mit den Nazis zu überführen. Zwei unvereinbare moralische Standpunkte treffen aufeinander und es geht nicht nur um die besseren Argumente. – Auch der renommierte Politthriller-Regisseur Costa-Gavras bediente sich einer literarischen Vorlage nach exakt recherchiertem, historischem Material und verfilmte in
Der Stellvertreter Rolf Hochhuths gleichnamiges Stück aus den 60er Jahren. Hier geht es einesteils um die passive Haltung der katholischen Kirche und des Papstes gegenüber der Judenverfolgung im Dritten Reich, andererseits um den widersprüchlichen Charakter des SS-Offiziers Kurt Gerstein, der das Zyklon B für die Gaskammern in den Konzentrationslagern lieferte, gleichzeitig aber mit Hilfe eines Jesuitenpaters vergeblich versuchte, die Massentötung aufzuhalten und die Weltöffentlichkeit darüber zu informieren. – Joseph Vilsmaier schließlich erzählt in seinem neuen Film
Leo & Claire die authentische Geschichte der jüdischen Kaufmannsfamilie Katzenberger aus Nürnberg. Der Firmenchef wurde 1942 wegen angeblicher "Rassenschande" zum Tod durch das Fallbeil verurteilt. Missgünstige Nachbarn hatten ihn denunziert und ihm eine mehrjährige Beziehung zu einer "nichtjüdischen" Deutschen vorgeworfen. Hingewiesen in diesem Zusammenhang sei schließlich noch auf zwei weitere Filme: Kurzfristig auf den August verschoben wurde
Die Liebe der Charlotte Gray von Gillian Armstrong, in dem sich eine junge Engländerin aus Liebe zu einem über Frankreich abgestürzten Piloten der französischen Résistance anschließt, um ihn zu finden. Ebenfalls kurzfristig für Anfang Mai avisiert wurde der auf der Berlinale vom Publikum gefeierte Dokumentarfilm
Im toten Winkel - Hitlers Sekretärin von André Heller und Othmar Schmiderer (siehe hierzu Berlinale-Bericht in dieser Ausgabe).