Kinofilmgeschichte
Kino-Film-Geschichte XXI: Sehnsucht, Wut und dokumentarische Blicke – der Mauerfall im Film
Es gibt die Geschichte über die Uraufführung von Heiner Carows Film Coming Out. Diese fand am Abend des 9. November 1989 in einem Ostberliner Kino statt. Als die Ehrengäste die Vorstellung verließen, hatte sich ihre Welt radikal verändert. Die Mauer war geöffnet worden. Der Anstoß zur historisch unaufhaltsamen Vereinigung zweier deutscher Staaten war gegeben. Der Titel Coming Out, der über dem ersten DEFA-Film zur Homosexualität stand, bekam so eine völlig neue Bedeutung.
Sonnenallee
Mit leicht gebremster Komödiantik
Es ist Mode geworden, sich der Epoche des Mauerfalls filmisch ein bisschen nostalgisch, ein bisschen selbstironisch, vor allem aber mit leicht gebremster Komödiantik zu nähern. Ungefähr zehn Jahre nach den historischen Ereignissen begann eine schmale Welle verhältnismäßig erfolgreicher Filme über das Leben in der DDR bis zur Wende oder über das Leben in der BRD nach dem Umsturz der Verhältnisse in die Kinos zu strömen. Die meisten teilten ein Lächeln mit einer Träne. Leander Haußmanns
Sonnenallee, Sebastian Petersons
Helden wie wir, Peter Timms
Der Zimmerspringbrunnen gehören dazu.
Zerstobene Illusionen
Zugleich kamen andere Filme heraus, denen angesichts der Entwicklungen nach der Grenzöffnung das Lachen vergangen war. Zum Teil waren sie nicht weniger erfolgreich. Allen voran Oskar Roehlers Die Unberührbare mit der grandiosen Hannelore Elsner in der Rolle der westdeutschen Schriftstellerin Gisela Elsner (mit der sie nicht verwandt ist). Der Film wendet den Blick ab von der Bewältigung des Mauerfalls durch die ostdeutsche Bevölkerung und zeigt eine von den Ereignissen traumatisierte Frau im Westen. Denn auch da sind mit dem Scheitern der DDR in manchen Köpfen Träume und Illusionen von einem humanen Sozialismus zerstoben. Die Unberührbare erzählt von einem Menschen, der damit nicht fertig wird. Die ostdeutsche Variante entfaltet Andreas Kleinerts Wege in die Nacht am Beispiel eines Betriebsleiters mit Parteiabzeichen, der keine Funktion mehr hat. Die von Arbeit und Arbeitnehmern entleerten Fabrikräume, die Kleinert zeigt, sind surreal und zugleich beklemmend realistisch angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern.
Herzsprung
Zeit der Zukunftsängste
Alle diese Filme kamen in den Jahren 2000 und 2001 in die Kinos. Zehn Jahre nach dem Ende des zweiten deutschen Staats hatten sich damit die Positionen gegenüber den ersten filmischen Auseinandersetzungen mit dem Mauerfall kaum verschoben, waren nicht in eine kritisch analysierende Distanz gerückt. Für die Regisseure der DEFA als staatlicher Filmgesellschaft der DDR bedeutete die Wende keineswegs nur Befreiung von lastender Zensur und Gängelung. Sie löste auch Zukunftsangst aus und kündigte den Verlust künstlerischer und sozialer Sicherheiten durch das System des kommerziellen Kinos an. Zwar brachten die ersten Monate nach dem 9.11.1989 von der SED-Zensur verbannte "Tresorfilme" wie Das Kaninchen bin ich, Denk bloß nicht, dass ich heule, Wenn du groß bist, lieber Adam (alle von 1965) oder den satirischen Kinderfilm Das Kleid (1961) endlich auf die Leinwand. Doch die ersten künstlerischen Reaktionen der letzten DEFA-Regisseure waren gekennzeichnet von zynischem Humor, bildermächtiger Wut oder schmerzhaftem Pessimismus.
Verlust der Formen
Kabarettistische Randbemerkungen, die alle Formen zerstörten, so wie die DDR selbst ihre Formen verlor, machte Jörg Foth mit seinem Endzeit-Clown-Spektakel Letztes aus der DaDaerR (1990). In einen surrealen Wutausbruch gegen stalinistischen Terror flüchtete sich Herwig Kipping mit Das Land hinter dem Regenbogen (1992). Die absurde Dekadenz des plötzlich eingebrochenen Kapitalismus beschwor Ulrich Weiß in dem schwer verständlichen Spiegelspiel Miraculi (1992). Im selben Jahr erzählte die ehemalige Dokumentaristin Helke Misselwitz in ihrem merkwürdig bittersüßen Herzsprung vom Selbstmord eines entwurzelten LPG-Landwirts und vom aufkeimenden Rassismus auf dem Territorium der ehemaligen "antifaschistischen” Diktatur.
Stilles Land
Schicksale unter dem geteilten Himmel
Von Rassismus handelte auch Thomas Heise in seiner umstrittenen Beobachtung ostdeutscher Neonazis unter dem Titel Stau – Jetzt geht's los. Keineswegs im Freiheitstaumel, sondern mit einem traurigen Blick auf Schicksale, die die Grenze schuf, schauten Andreas Kleinert in Verlorene Landschaft und Heiner Carow in Verfehlung auf Erfahrungen unter dem geteilten Himmel. Mit Stilles Land hat der junge Regisseur Andreas Dresen besonders angemessen auf die Wende reagiert. Der leise, melancholische Film erzählt vom Ensemble einer Provinzbühne in der DDR, das Becketts absurdes Drama "Warten auf Godot” (in der DDR nicht aufgeführt) inszenieren möchte und nach einem schnellen erstaunten Ausflug in den Westen zurückkehrt in den Ost-Alltag mit seinen heiteren und ernsten Seiten. Die ersten Arbeiten westdeutscher Filmemacher zum Fall der Grenze waren mit Peter Timms Go, Trabi, go (1991) traditionell, harmlos, lustig und mit Niklaus Schillings Deutschfieber (1992) als Fortsetzung seiner Grenzland-Komödie Der Willi-Busch-Report (1979) ziellos verwirrt.
Die dokumentarischen Beobachter
Die Wende hat Opfer gefordert, das ist bekannt. Im Kinobereich gehört die Auflösung des kompetenten Dokumentarfilmstudios der DEFA dazu. Die "Dokfilmer" (ein erhaltenes Wort aus dem Sprachschatz der DDR) haben selbstverständlich die Zeit des Umbruchs nach dem Mauerfall mit ihren Kameras begleitet. Als Quellen für das Verstehen von Geschichte sind ihre Arbeiten noch wenig genutzt. "Dokfilme" wie Letztes Jahr Titanic, Ein schmales Stück Deutschland, Verriegelte Zeit oder Kehraus werden die Argumentationskraft ihrer Bilder erst unter Beweis stellen können, wenn der Blick auf die Zeit des Mauerfalls historischer, neugieriger und forschender geworden ist. Dann werden Winfried Junges Fortschreibung der Biografien seiner Kinder von Golzow aus der DDR in die BR Deutschland oder Kai Wesnigks sich selbst ironisierende Kompilation der DDR-Propaganda unter dem Titel Kinder, Kader, Kommandeure Geschichten von einer Geschichte erzählen, mit der man im Kino vielleicht anders umgehen kann als unter den Vorzeichen von Spaß, Nostalgie, Verzweiflung oder Wut.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 01.02.2003