Bildungsrelevant, weil der Dokumentarfilm aus Perspektive ostdeutscher Frauen die biografischen Brüche nach der Wiedervereinigung aufzeigt.

Die Geschichte: Selbstbewusste Industriearbeiterinnen

Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung. Während landauf, landab Betriebe schließen und Menschen entlassen werden, filmt ein Reportageteam des Leipziger Piraten-TV-Senders Zum externen Inhalt: Kanal X (öffnet im neuen Tab) weibliche Beschäftigte in der Großindustrie: Brücken- und Geräteführerinnen im Tagebau, Anlagenfahrerinnen und Chemikerinnen, eine Lokführerin, eine Industriemeisterin und eine Schuhfacharbeiterin – Frauen, die ihre Arbeit in sonst männerdominierten Berufen mit Stolz, aber auch mit großer Selbstverständlichkeit ausüben. Und die allesamt einer ungewissen Zukunft entgegensehen. 30 Jahre später besucht Dokumentarfilmer Gerd Kroske die Frauen, hinter denen zumeist eine von beruflichen Neuanfängen, Arbeitslosigkeit und Vorruhestand geprägte Zeit liegt. Vor seiner Kamera kommentieren sie die alten Videoaufnahmen und reflektieren ihr Berufsleben in der DDR und ihre Erfahrungen im wiedervereinten Deutschland.

Wenn Sie diesen Drittanbieter-Inhalt von www.youtube-nocookie.com aktivieren, ermöglichen Sie dem betreffenden Anbieter, Ihre Nutzungsdaten zu erheben. Weitere Informationen zur Nutzung von Drittanbieter-Inhalten erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Externer Link: Datenschutzerklärung anzeigen

Filmische Umsetzung: Im Dialog mit der eigenen Geschichte

Ausgangspunkt von Gerd Kroskes Zum Inhalt: Dokumentarfilm war ein Zufallsfund: Bei Recherchen stieß der Filmemacher auf Videomaterial, das der Medienaktivist Norbert Meißner Anfang der 1990er-Jahre für eine Reportage über ostdeutsche Industriearbeiterinnen gefilmt hatte. Kroske erkannte den historischen Wert der Aufnahmen und machte einige der Frauen ausfindig, um sie zu interviewen – ursprünglich, um neu gedrehte und alte Zum Inhalt: Sequenzen in einer Videoinstallation gegenüberzustellen. In "Stolz & Eigensinn" hat Kroske diese Idee modifiziert, indem er seine Interviews mit den Aufnahmen aus den 1990er-Jahren in Zum Inhalt: Splitscreen-Sequenzen parallel laufen lässt. Die Protagonistinnen scheinen so in einen Dialog mit sich selbst zu treten. Auch sonst bleibt der Filmemacher unsichtbar und agiert allein als Fragesteller aus dem Zum Inhalt: Off – der Fokus liegt ganz auf den Porträtierten. Auffällig ist, dass Kroske die spezifische Materialität der alten U-Matic-Videobilder keineswegs kaschiert. Er verweist so auf ihre Historizität, aber auch auf den nicht-professionellen Background der Reportage, die in der Nachwendezeit eine Leerstelle in der Berichterstattung über Ostdeutschland füllen sollte.

Das Thema: Der Wert der Arbeit

Berufstätig zu sein, war für Frauen in der DDR selbstverständlich. Dass es jedoch trotz verfassungsmäßig garantierter Gleichberechtigung gerade in der Industrie sehr wohl Männerdomänen gab und Frauen besondere Widerständigkeit und Willensstärke beweisen mussten, um bestimmte Positionen "zu erobern", klingt in den Schilderungen der Protagonistinnen deutlich an. S"tolz & Eigensinn" vermittelt so nicht nur die starke Identifikation der Frauen mit ihrem Beruf, sondern auch den emanzipativen Wert der Arbeit: Den Umgang auf Augenhöhe mit den männlichen Kollegen, betonen die Porträtierten mehrfach. Dass der Verlust des Arbeitsplatzes von ihnen zugleich als schmerzhafter Verlust an Unabhängigkeit und Wertschätzung erlebt wurde, macht Gerd Kroskes Film eindringlich spürbar. Fern jeder ostalgischen Anwandlung weist "Stolz & Eigensinn" so auf wenig thematisierte Erfahrungen ostdeutscher Frauen hin, die auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch fortwirken.

Fragen für ein Filmgespräch:

• Könnt Ihr die starke Identifikation der Frauen mit ihrer Arbeit im Bergbau und in der Industrie nachvollziehen? Warum/warum nicht?
• Welche heute noch männerdominierten Berufe fallen Euch ein? Inwiefern hängen diese Berufsbilder mit Geschlechterbildern zusammen?
"Stolz & Eigensinn" enthält zahlreiche Splitscreen-Sequenzen. Welche Wirkung erzielt dieses markante Stilmittel? Und welche erzählerischen Möglichkeiten bietet das Verfahren?

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

Mehr zum Thema