Hintergrund
Der Kitzel der Killer – Massenmörder im Film
Das Schweigen der Lämmer
Massenmord als Medienereignis
Die Menschen vor Ort hatten schlicht Angst, als kürzlich der flüchtige Sexualverbrecher Frank Schmökel von der Polizei gesucht wurde. Die unvermittelte Nähe des Mannes wurde als konkrete Bedrohung empfunden. Faszination für Gewaltkriminelle entwickelt sich aus dem Abstand, sei er zeitlich oder räumlich. Wenn man ihnen nur durch mediale Vermittlung begegnet, beginnen sie Neugier auszulösen – einen gewissen Kitzel, Interesse, eher mit angenehmen Schauern als mit Angst besetzt. Erst als Medienereignis wird der Massenmörder zur Legende.
Die Blutgräfin
Zunächst waren es lediglich Gerichtsprotokolle, die schreckliche Mordserien und die Namen ihrer Verursacher überlieferten: zum Beispiel jenen der so genannten Blutgräfin Erzsébet Báthory (1560-1614). Die Frau soll 610 junge Mädchen abgeschlachtet und in ihrem Blut gebadet haben. Im Dunstkreis der Schwarzen Romantik, die am Ende des 19. Jahrhunderts die Nachtseiten der menschlichen Seele entdeckte, entwickelte das literarische Medium ein morbides Interesse an dieser Figur. Davon ließ sich später wiederum das Kino inspirieren. Filme wie Harry Kümels Blut an den Lippen (1971), Peter Sasdys Comtesse des Grauens (1970) oder Walerian Borowczyks Unmoralische Geschichten (1974) machten die Báthory endgültig zum Medienmythos.
Sex and Crime
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts suchten sich Presse, populäre Literatur und seit 1895 das Kino ihr Publikum in den undifferenzierten Volksmassen. Unter dem wirtschaftlichen Zwang, immer größere Publikumsschichten anzusprechen, wurde der Stoff zunehmend in schockierenden Stories gefunden. Das verkaufsträchtige Begriffspaar "Sex and Crime" tauchte auf, und aktuelle Gewaltverbrechen gelten seit jener Zeit bis heute als Garanten für Auflagensteigerung und als Publikumsmagneten.
Jack the Ripper
Der erste Serienkiller, der quasi als Stofflieferant der Massenmedien auftrat, dürfte der geheimnisumwitterte Jack the Ripper gewesen sein. Ihm sind zwischen August und November 1888 wahrscheinlich fünf Londoner Prostituierte zum Opfer gefallen. Der Mörder selbst hat durch das Bekennerschreiben an eine Nachrichtenagentur die Presse als Verbreitungsorgan seiner Absichten genutzt. Da die Morde nie aufgeklärt wurden, ist der Ripper als Quelle massenmedialer Spekulationen immer noch brauchbar. Soeben erscheint in Deutschland das grandiose Comic-Epos "From Hell" über diesen Fall. Die ersten Filmszenen über den Mörder wurden noch vor der Wende zum 20. Jahrhundert gedreht. Die berühmtesten von zahllosen Filmen, die sich der Figur annahmen, sind Das Wachsfigurenkabinett von Paul Leni (1924), The Lodger von Alfred Hitchcock (1926), Die Büchse der Pandora von G.W. Pabst (1929) und Mord an der Themse von Bob Clark (1979).
Killer aus der Kriminalgeschichte
Das Kino hat viele reale Gestalten der Kriminalgeschichte zu Helden und Antihelden der Leinwand umgemünzt. Man denke an Peter Kürten, genannt "Der Vampir von Düsseldorf", der das Vorbild des Mörders in Fritz Langs
M - Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) abgab. Fritz Haarmann, der "Werwolf von Hannover", stand für Ulli Lommels
Die Zärtlichkeit der Wölfe (1973) wie für Romuald Kamarkars
Der Totmacher (1996) Pate. Nach den Taten des "Blaubarts" Henri-Desire Landru drehten Charlie Chaplin
Monsieur Verdoux (1947) und Claude Chabrol
Der Frauenmörder von Paris (1962). Das amerikanische Gangsterpaar Bonnie Parker und Clyde Barrow wird in
Die Höllenkatze von William Witney (1958) in ihrer historisch überlieferten Kaltblütigkeit vorgestellt, in
Bonnie and Clyde von Arthur Penn (1967) dagegen zur romantischen Außenseiter-Ikone verklärt.
Henry - Portrait eines Serienkillers
Vereiste Gefühle
Aus konkreten Kriminellen, wie sie in den Gerichtsakten und den Protokollen des Strafvollzugs umrissen sind, machen die Medien, macht vor allem das Kino, fiktive Modelle für individuelle und gesellschaftliche Abgründigkeit. Der Protagonist von John McNaughtons Henry – Portrait of a Serial Killer (1989) ist zwar dem Massenmörder Henry Lee Lucas nachempfunden. Doch im Film erscheint er beispielhaft für die vereisten Gefühle in einer Kultur der sozialen Kälte.
American Psycho
American Psycho
Für den Killer als Kristallisationskern des Sozialen bedarf es der "Vorbilder" aus der Realität allerdings immer weniger. Der Autor Bret Easton Ellis hat für seinen Roman
American Psycho den Designer-Schlächter Patrick Bateman als Modellfall postmoderner Verstörungen entworfen. Und Marry Harron ist bei ihrer Verfilmung des Buches daran gescheitert, dass sie dem Zuschauer den Blick in die Seele dieses Charakters verweigert und ihn statt dessen aus lauter Oberflächenreizen zusammengesetzt hat. Doch gerade der Blick in die irrationalen Abgründe der Triebmotivation ist das Faszinierende an der Figur des Massenmörders. Das ist der Moment, in dem man spürt, wie brüchig die Wände der eigenen zivilisierten Gewissheit eigentlich sind.
Das Schweigen der Lämmer
Der Kannibale
Im Gegensatz zum Gangster mit seinem Interesse an der Bereicherung oder zum Mörder aus Rache werden gerade die psychotischen Serienkiller des Kinos nicht nach dem schlichten Hollywood-Motto "crime doesn’t pay" behandelt. Man gesteht ihnen meist eine Aura des Geheimnisvollen und gewährt ihnen eine Chance zur Einfühlung. Der Killer in Jonathan Demmes berühmtem Schweigen der Lämmer (1990) wurde geradezu in zwei Personen aufgespalten: in den widerlichen "Buffalo Bill", auf den sich die Abscheu des Publikums konzentrieren konnte, und in den Kannibalen Hannibal Lecter, dem klammheimliche Sympathie zuströmte.
Grenzen der Moral
Der Roman "Hannibal", den Thomas Harris als Fortsetzung dieser Geschichte schrieb, rüttelt sehr bewusst an den Grenzen von Verfilmbarkeit und sozialer Akzeptanz der Figur des Massenmörders. Harris hat dem Buch eine absolut unmoralische Wendung gegeben. Aber dadurch schärft er den Blick dafür, wie stark das Aufladen entsetzlicher Taten mit einer geradezu erotischen Aura der Faszination moralische Fragen an die Massenmedien stellt.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 21.09.2006