So viel gleich vorweg:
The Cell ist ein Film, der einen über 100 Minuten in den Sessel presst und in atemloser Spannung hält, ein Film, bei dem man immer wieder wegschauen möchte und doch mit weit aufgerissenen Augen hinstarrt. Er mobilisiert alle bekannten Ängste und Albträume und auch solche, von denen man bisher nichts wusste oder gar ahnte. Dabei verschmelzen Bilder und Musik zu einem bombastischen Gesamtkitschwerk. Die Geschichte von
The Cell ist schnell erzählt, zumal das Drehbuch die unwichtigste Disziplin bei diesem Film ist, den die Designer, Ausstatter und Special-Effects-Leute dominieren.
Täter und Opfer
Die titelgebende Zelle ist ein gläserner Verschlag mit einer Minimalmöblierung aus Edelstahl, in die ein Serienkiller seine weiblichen Opfer einsperrt, um sie darin ganz langsam durch eine automatische Bewässerungsanlage zu ertränken. Den Todeskampf der Opfer, die nach den ersten Wassergüssen zu ahnen beginnen, worauf die Sache hinausläuft, zeichnet er mit Videokameras auf. Diese Aufnahmen schaut er sich an, während er an den Leichen herummanipuliert, bis er ihrer überdrüssig wird und sie irgendwo ablädt.
Reise in die Innenwelt eines Serienkillers
Der Killer, der an einer seltenen Form von Schizophrenie leidet, wird gefasst, nachdem er sein letztes Opfer gerade verschleppt hat. Als er ins Koma fällt, versucht die Therapeutin Catherine, den Aufenthaltsort des Opfers herauszufinden, indem sie sich nach einer neuen wissenschaftlichen Methode über Neurotransmitter in sein Gehirn einschleusen lässt. Sie will auf diese Weise Kontakt zu seinem Unterbewusstsein aufnehmen, um einen Hinweis auf das Versteck zu entdecken. Ein FBI-Mann ist ihr zeitweiliger Begleiter auf dieser Reise in die Innenwelt des Killers.
Grenzüberschreitungen
Eine Außenwelt gibt es kaum in diesem ort- und zeitlosen Film und wenn sie doch einmal vorkommt, dann als surrealistische Komposition aus architektonischen Elementen und ungewöhnlichen Bildeinstellungen. Folglich ist auch Tageslicht nur spärlich vorhanden; das Hirnforschungslabor und die Zelle des Killers ähneln einander nicht nur in ihrer Düsterkeit, sondern auch in ihrer Einrichtung: Panzerglas und Stahl, Aufhängevorrichtungen und Monitore – hier wie dort. Damit ist das Thema des Films schon visualisiert: die Aufhebung der Grenze zwischen Fantasie und Realität. Der geisteskranke Killer, in dessen Hirn auch wir uns begeben, kennt keine Realität mehr außer seinen Wahnvorstellungen.
Realitätsverluste
Obsessiv und ohne Bezug zum normalen Alltag betreibt die Therapeutin ihren Job. Zu Beginn sieht man sie in das Gehirn eines kleinen autistischen Jungen eindringen. Und später, wenn sie mit den ungezügelten Macht- und Ohnmachtsfantasien des Killers konfrontiert wird, verliert auch sie die Kontrolle über die Realität, kann zwischen Wirklichkeit und Täuschung nicht mehr unterscheiden und wird zum willenlosen Opfer der Vorstellungen des Killers. Therapeutin und Polizist, Killer und Opfer sind gleichermaßen isolierte Einzelwesen, es existiert kein soziales Umfeld. Ob der Regisseur es nun beabsichtigt hat oder nicht: Der Film visualisiert ganz eindringlich die Aufhebung der Grenzen zwischen verrückt und normal, krank und gesund, Täter und Opfer. Damit liefert
The Cell auch interessante, wenn auch immer subjektiv bleibende Eindrücke vom Wesen der Geisteskrankheit. Der Regisseur verstärkt diesen Aspekt noch, indem er Albtraummotive, die jeder kennt, wie Ikonen in seinen Bilderstrom einfügt. Wir erschrecken weniger über die Wahnvorstellungen des kranken Killers, als vielmehr über das Erkennen unserer eigenen in ihnen.
Oberflächenreize
Kein Zweifel also:
The Cell ist ein sehenswerter Film. Aber er ist gleichzeitig auch ärgerlich, denn Tarsem Singh benutzt das Leitmotiv des Eintauchens ins Unterbewusste vor allem, um seine artifiziellen Kompositionen zu zeigen. Jede Einstellung ist eine Ausstellung und die stets rutschenden Träger der ansonsten straff sitzenden Hemdchen von Jennifer Lopez in der Rolle der Therapeutin signalisieren schon, dass seine Bilder sehr dem Oberflächenreiz verhaftet bleiben. Auch als Spielfilmregisseur macht der für seine Werbefilme und Videoclips international erfolgreiche Tarsem lediglich das, was er in der Werbung gelernt hat: er weckt vermeintliche Bedürfnisse. So fragt man sich zum Beispiel, warum wir, wenn wir mit Catherine in das Gehirn des Killers eindringen, die ganze Zeit nur sie als "Objekt der Begierde" sehen, anstatt mit ihren Augen zu sehen und über subjektive Kameraperspektiven ihre Innensicht mitzubekommen. Wahrscheinlich hielt Tarsem Singh das kokette, aber sterile Teenie-Idol Jennifer Lopez für geeignet,
The Cell zu verkaufen: an die Zielgruppe der 13-25-Jährigen, für die Werbung eben gemacht wird.
Autor/in: Daniela Sannwald, 01.11.2000