Schreiend und in Scharen verließen amerikanische Kinobesucher die Vorstellungen, als im Winter 1973/74
Der Exorzist anlief: Nicht nur die fiese grünliche Pampe, die ein zwölfjähriges Mädchen unter grässlichem Gerülpse plötzlich ausspie, schockte die Zuschauer, sondern auch die ausführliche Darstellung medizinischer Untersuchungen, denen das Kind unterworfen wurde, die verbalen Obszönitäten, von denen dieser Film strotzt und vor allem die furchtbaren Verunstaltungen, die der in den Körper der kleinen Regan eingedrungene Dämon bewirkte. So etwas hatte es noch nicht gegeben.
Rattenfallen gegen das Böse
Für heutige Verhältnisse ist
Der Exorzist, verglichen beispielsweise mit der Teenager-Kultfilm-Serie
Scream, ausgesprochen unspektakulär. Weder Blutbäder noch abgetrennte Gliedmaßen, weder aufgeschlitzte Bäuche noch im Dunkeln lauernde Serienkiller sind zu sehen. Vielmehr beginnt der Film an einem Ausgrabungsort im Irak, wo merkwürdig asymmetrische, "heidnische" Steinskulpturen und ein christliches Amulett gefunden werden. Einer der Archäologen ist Father Merrin, ein amerikanischer Priester. Währenddessen wird es Herbst in Neuengland, und die Schauspielerin Chris MacNeil und ihre Tochter Regan haben es sich in ihrem großen Haus, das sie mit einem älteren deutschen Haushälterehepaar und einem Kindermädchen teilen, gemütlich gemacht. Zwar knarrt und rumpelt es auf dem Dachboden, aber man hat ja bereits Rattenfallen aufgestellt ...
Exorzismus mit Hindernissen
Langsam stellt sich jedoch heraus, dass mit Regan etwas nicht stimmt: Das Kind schläft schlecht, weil, wie sie sagt, ihr Bett wackelt; auf einer Party ihrer Mutter taucht sie plötzlich auf, sagt einem der Gäste den Tod voraus und pinkelt auf den Teppich. Und als Chris MacNeil eines Nachts, von grässlichen Schreien geweckt, ins Zimmer ihrer Tochter stürzt, muss sie selbst mit ansehen, wie die Kleine auf einem bedrohlich schwankenden Bett hin- und hergeworfen wird. Die Ärzte wissen keinen Rat und da Regan sich nach und nach in ein tobendes Monstrum verwandelt, wird schließlich ein Exorzist hinzugezogen. Es ist Father Merrin, der auf seinen Reisen durch fremde Kontinente nicht nur Ausgrabungen, sondern auch Austreibungen vornahm. Sein Assistent ist Father Damien Karras, ein ehemaliger Boxer und gelernter Psychiater, der nicht mehr richtig glauben kann. Die Austreibung des Dämons gelingt, aber sie fordert ihre Opfer ...
Ein Filmklassiker
Der Exorzist war einer der größten Kassenerfolge der 70er Jahre. Autor William Peter Blatty gewann 1974 den Oscar für das beste Drehbuch; nominiert wurde der Film außerdem in sechs weiteren Kategorien, während die Kritik nicht begeistert war. Prätentiös, oberflächlich, auf Schockeffekte setzend, lauteten die zeitgenössischen Verdikte. Inzwischen gehört
Der Exorzist zum Kanon der Horrorklassiker, sind die Bilder der einen Meter über dem Bett schwebenden Linda Blair und des sich vom Herbstnebel im Licht der Straßenlaterne nur als Silhouette abhebenden Exorzisten vor dem Haus der MacNeils zu Ikonen des Films der 70er Jahre geworden.
Verlust der Unschuld
Der Film erregte damals vor allem wegen seiner Spezialeffekte Aufsehen, die noch ohne digitale Verfahren hergestellt wurden und ungeheuer realistisch wirken. Das Gesicht des Mädchens wird zur Fratze: bleich, mit blutunterlaufenen Augen, von offenen Geschwüren übersät. Wenn sie den Mund öffnet, sieht man Zahnstummel und Blut, gelegentlich fährt eine lange, spitze Zunge daraus hervor. Den Kopf kann sie knarrend um 180 Grad drehen; und sie spricht mit verschiedenen Geisterstimmen. Eine davon zischt und kreischt Sätze von auch heute noch schockierender Obszönität, umso mehr als Ärzte, Priester, das Kindermädchen und die Mutter davon betroffen sind, also die klassischen Guten. Der Gegensatz zwischen kindlicher Unschuld und äußerster Verdorbenheit macht einen großen Teil des Horrors aus. Damit verwies der Film auf die verlorene Unschuld der amerikanischen Gesellschaft, die 1973, im Jahr des Watergate-Skandals, nicht mehr zu übersehen war: Das Böse tobte nicht mehr nur in den weit entfernten Dschungeln Vietnams, sondern saß an der Spitze der amerikanischen Regierung, direkt im Weißen Haus, das in der Farbe der Unschuld gestrichen ist. Nicht zufällig spielt der Film in Georgetown, Washington D.C.
Ein Spiegel der Gesellschaft
Auch in anderer Hinsicht spiegelt
Der Exorzist die US-amerikanischen Sorgen und Nöte der 70er wider: Die Familie ist nicht mehr heil – Regans Vater ist in Europa und ruft nicht einmal zu ihrem Geburtstag an, für den Haushalt und die Kindererziehung sind Fremde zuständig und die alte Mutter des griechischen Paters muss allein sterben, weil selbst bei den Einwanderern die traditionellen Verantwortlichkeiten nicht mehr wirksam sind. Dass man den zweistündigen Film jetzt noch einmal – um zwölf Minuten länger und mit überarbeitetem Soundtrack – unter dem Titel
Der Exorzist – Director’s Cutins Kino bringt, hat sicher vor allem damit zu tun, dass Okkultes zur Jahrtausendwende Konjunktur hat.
Autor/in: Daniela Sannwald, 01.01.2001