Gäbe es in Stockholms Parkanlagen nicht so viele Hunde, der Libanese Roro und sein schwedischer Freund Måns wären mit ihrem Dasein als Ausputzer der schwedischen Idylle zufrieden. Doch die hündischen Hinterlassenschaften, die beide im Dienst des städtischen Gartenbauamtes auflesen, türmen sich zu Beginn der cultural-clash-Komödie
Jalla! Jalla! zu Hindernissen der symbolischen Art: So unbeschwert, wie Roro und Måns die Hürden ihres Jobs auch nehmen, das Leben häuft Probleme auf, die sich nicht so einfach wegfegen lassen.
Kulturgeprägter Alltagsstress ...
Der 30-jährige Måns sieht zwar aus wie ein gestandener Macho, aber im Bett mit seiner Freundin Jenny stehen ihm vor Schreck über seine Impotenz nur die Haarstoppeln zu Berge. Der jüngere Roro könnte mit seiner schwedischen Freundin Lisa Nächte der Leidenschaft verbringen, wäre da nicht seine traditionsverhaftete Großmutter, die sich libanesische Urenkel wünscht und längst mit der Familie von Roros Cousine Yasmin handelseinig geworden ist. Für deren Bruder Paul liegt die Zukunft einer Libanesin in der Vergangenheit, darüber kann auch Yasmins modernes Outfit nicht hinwegtäuschen.
... mit fatalen Konsequenzen
Von Roros Familie, die in Schweden Geld verdient, aber nicht leben will, ist der großspurige Paul so begeistert, dass er für die Zwangsverlobten die Wohnung über seinem Restaurant mietet :Die Ehre der Familie sichern und die eigenen Besitztümer durch eine kostenlos schuftende Schwester mehren, das ist für Paul ein Aufwasch. Sollte die Hochzeit nicht schleunigst stattfinden, da gibt sich die eingeschüchterte Yasmin keinen Illusionen hin, droht ihr die innerfamiliäre Abschiebung in den Libanon.
Faule Kompromisse
Roro machen die Erwartungen seines von Liebe und ähnlichem Gefühlsluxus gänzlich unbeeindruckten Vaters zu schaffen. Seit Monaten hat es der sympathische Drückeberger vermieden, seinen Eltern von Lisa zu erzählen. Mit der schönen Cousine kann Roro sich verständigen: Zum Schein willigen die beiden in das Arrangement ein. Aber wie kann Lisa das wissen? Und was soll aus Måns werden, wenn Yasmin Roro heiratet? Von der Peitsche bis zur Penispumpe hat Måns alles versucht, bis er mit Yasmin die Liebe kennen lernt, die nicht nur einen Teil des Körpers erfasst und keiner Hilfe bedarf.
Befremdliche Partnerwahl
Nicht allein die traditionelle Ehe als Arrangement der Eltern, die Roro die natürlichste Integration der Welt verwehrt, steht in diesem differenzierten Filmdebüt zur Debatte: Die Partnerwahl des Westens, die frei ist, nur nicht von sexuellen Erfolgszwängen, wie der schlecht beratene Måns sie verkörpert, nimmt sich aus der Sicht des im Libanon geborenen und in Schweden aufgewachsenen Regisseurs nicht minder befremdlich aus.
Selbstbefreiung
"Jalla" ist arabisch und heißt "vorwärts". "Auf! Auf!" meint die Wiederholung des Titels, die die Notwendigkeit eines Fortkommens anmahnt – unter Beduinen gilt dieser Ansporn übrigens störrischen Kamelen. Hohe Zeit, sagt der Film, jenseits ethnischer Selbstvergewisserungen auf einer eigenen Identität zu beharren, das Gefängnis tradierter Männer- und Frauenrollen zu sprengen. Hohe Zeit für die Kinder der Migration wie für die Einheimischen, daran lässt das doppelbödige Debüt des gerade mal 24 Jahre alten Filmstudenten Josef Fares keinen Zweifel.
Das Gefängnis als Metapher
Die Ungeduld seiner Protagonisten, sich endlich von tradierter Bevormundung oder – wie in Måns Fall – vom sexuellen Erfolgszwang einer gedankenlosen Konsumgesellschaft zu befreien, ist dabei so komisch wie produktiv: Wenn Roro endlich so weit ist, mit Lisa zu reden, steht er vor verschlossener Tür. Statt zu bedenken, dass die Gekränkte sich zu ihrem Vater aufs Land geflüchtet hat, steigt Roro in ihre Wohnung ein und wird von einer Nachbarin angezeigt. Måns randaliert derweil in einem Café, weil er die treulose Jenny beim Flirten erwischt. Im Gefängnis kommen die Freunde zu sich. Die Mauern, die ihren blinden Aktionismus eine Nacht lang aufhalten, erweisen sich als Gedanken-Räume, als graue Zellen, die die Fantasie beflügeln. Måns sieht Yasmin vor sich und hat eine Erektion, die auch die letzte ethnische Schranke beseitigt. Roro entdeckt die Wonnen der Courage. Vor den düpierten Hochzeitsgästen wird er später nicht um Yasmin, sondern um Lisas Hand anhalten, während Måns vorsichtshalber gleich nach der ganzen Yasmin greift.
Offenere Weltbilder
Die Massenschlägerei, die die Flucht der beiden Paare auslöst, ist nur noch eine burleske Dreingabe. Sie erinnert an das Ende von
East is East, einer auf den Kindheitserinnerungen des in England aufgewachsenen Dramatikers Ayub Khan-Din basierenden Komödie (s. a. Kinofenster-Archiv). In Damien O'Donnels Film sind es die Söhne einer pakistanisch-britischen Mischehe, die sich dem Hochzeitsdiktat ihres streng muslimischen Vater widersetzen und Lust auf Anderes offenbaren – aber erst, nachdem sie wie der schwule Älteste vorsichtshalber das Weite gesucht haben. In
Jalla! Jalla! wird dem unbedacht an die eigene Vergangenheit geketteten Vater von Roro aus der Nähe auf die Sprünge geholfen. Vielleicht, gesteht sich dieser am Ende ein, ist die arrangierte Ehe doch nur dazu da, Eltern glücklich zu machen, die das Glück der Wahl nie am eigenen Leibe erfahren durften.
Autor/in: Heike Kühn, 01.09.2001