Hintergrund
Kalte Schulter für europäische Filme?
Europäische Kinogänger lassen Filme aus anderen europäischen Ländern häufig links liegen. Während die Europäer durch den Euro währungspolitisch und im Alltag näher zusammenrücken, driften sie bei der wechselseitigen Wahrnehmung der jeweiligen Filmkultur tendenziell auseinander. Dafür bauen die Hollywood-Produktionen ihre Marktanteile aus und tragen so dazu bei, die Dominanz der amerikanischen Leitkultur zu verstärken.
Chicken Run
Amerikanische Dominanz
Jüngste Daten der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle belegen diese bedenklichen Entwicklungen. Wurden 1999 für europäische Filme innerhalb der Europäischen Union noch 84 Millionen Tickets außerhalb der Heimatmärkte verkauft, so waren es im Jahr 2000 nur noch 40 Millionen. Erzielten 1999 europäische Filme noch fast 40 Prozent ihrer Besuche außerhalb ihres Heimatmarktes in der EU, so errechnet sich für 2000 bloß noch ein Anteil von 26 Prozent. Zeitgleich gewann der amerikanische Film in der EU mehr als vier Prozentpunkte hinzu: Sein Marktanteil lag im vergangenen Jahr bei 73,7 Prozent. Parallel dazu sank der Anteil europäischer Filme von 29,2 Prozent im Jahr 1999 auf 22,5 Prozent.
Billy Elliot - I Will Dance
"Kleine gallische Dörfer ..."
Als besonders resistent gegenüber der US-Filmware erwies sich im Vorjahr abermals Frankreich: Der nationale Marktanteil betrug 28,9 Prozent – ein Minus von 3,5 Prozentpunkten gegenüber 1999. Auch Italien, Deutschland und Spanien mussten Einbußen hinnehmen: Die nationalen Marktanteile sanken auf 16,5, 12,5 und 10,1 Prozent. Dagegen legte Großbritannien von 17,8 auf 21 Prozent zu. In den Abwärtstrend passt auch der betrübliche Befund, dass nur zwei europäische Filme den Sprung unter die 20 besucherstärksten Filme in der Europäischen Union schafften. Der Animationsfilm
Chicken Run, eine britisch-amerikanische Koproduktion, und die französische Komödie
Taxi 2 kamen mit zwölf bzw. elf Millionen Eintrittskarten auf die Ränge 10 und 12.
Jährlicher Kinokonsum in Europa
Offensichtlich gelingt es immer weniger Filmen, die nationalen Grenzen in Europa zu überwinden. Für das Jahr 2000 attestiert dies die Informationsstelle nur
Chicken Run und
Billy Elliott, bemerkenswerter Weise beide auf englisch gedreht. Das wenig ausgeprägte Interesse am europäischen Nachbarn könnte im Falle Deutschland mit dem bescheidenen Interesse am Kinofilm überhaupt zusammen hängen. Wenn die Deutschen nur knapp zwei Mal im Jahr ins Kino gehen, wählen sie offenkundig am liebsten ein US-amerikanisches oder ein deutsches Produkt. Geht es um die Häufigkeit des Kinobesuchs, dann sind in Europa die Iren nicht zu schlagen: 3,4 Mal geht jeder Bewohner der grünen Insel ins Kino. Die Luxemburger bringen es immerhin auf 3,3 Mal pro Jahr. Schlechte Karten haben dagegen die Kinobesitzer in Griechenland und Finnland: Dort lässt sich jeder Bürger nur 1,2 mal pro Jahr vor die Leinwand locken. Zu diesem Ergebnis kam das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaft in einer Aufstellung über den Kinobesuch 1998. Im Schnitt gehen die EU-Bürger pro Jahr 2,1 Mal ins Filmtheater. An diese Rate kommen die Deutschen nicht heran, die es nur 1,8 Mal vor die Leinwand zieht. Überdurchschnittliche Quoten können dagegen die Franzosen und Italiener mit 2,9 und 2,8 Mal pro Jahr vorweisen. Gegen die US-Bürger, die 5,5 Mal ins Kino gehen, kommt allerdings kein EU-Land auch nur annähernd heran.
Das Leben ist schön
Lahmes Kino-Deutschland?
Dass gerade die Deutschen sich mit anspruchsvollen Filmen europäischer Herkunft eher schwer tun, dafür hat die Beratungsfirma RMC Medien Consult in einer Studie plausible Hinweise gefunden. Sie setzte die Besucherzahlen ausgewählter Filme in Relation zur Einwohnerzahl des jeweiligen Landes und errechnete so die Reichweite. Bei dem italienischen Holocaust-Film
Das Leben ist schön zum Beispiel ergibt sich eine Spitzenquote von 10,38 für Spanien und 7,19 für Frankreich – je ein Vielfaches des deutschen Wertes 2,44. Großbritannien kam gar nur auf 1,22. Noch aufschlussreicher war der Vergleich von 90 subjektiv ausgewählten Filmen der Jahre 1996 bis 1999. Unter den sieben erfassten europäischen Ländern bildete Deutschland mit einem Wert von 0,71 bei der Reichweite europäischer Arthaus-Filme das Schlusslicht. Dies fällt umso mehr ins Auge, als die kleine, aber multikulturelle Schweiz mit der Rate 1,85 an der Spitze lag. Zugleich fanden in allen erfassten Ländern US-Kunstfilme eine höhere Akzeptanz als europäische Kunstfilme.
Förderung europäischer Filme
Diese Befunde dürften die These untermauern, dass die so genannte US-Leitkultur über die Dominanz ihrer filmischen Repräsentationen in Europa und gerade in Deutschland an Einfluss gewinnt. Für die europäische Kulturpolitik stellt sich somit die Frage, wie die filmischen Darstellungen der europäischen multikulturellen Gesellschaften besser präsentiert werden können. An einer stärkeren, grenzüberschreitenden Förderung europäischer Filme etwa im Rahmen des EU-Media-Programms, von Eurimages und – auf deutscher Ebene – durch mehr öffentlich finanzierte Förderkopien scheint kein Weg mehr vorbeizuführen.
Autor/in: Reinhard Kleber, 21.09.2006