Hintergrund
Kenia
Die für das heutige Kenia entscheidende Phase der Geschichte begann mit der Kolonialepoche in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts . Zwar waren schon Jahrzehnte zuvor europäische Entdecker, Missionare und Händler in Kenia aktiv. Doch erst 1886 kam es zur Abgrenzung der britischen und deutschen Einflusssphären zwischen Kenia und dem heutigen Tansania.
Szene aus dem Film "Nirgendwo in Afrika"
Kenia als europäisches Siedlungsgebiet
Zunächst galt Kenia für Großbritannien lediglich als Durchgangsgebiet für den Bau der Uganda-Bahn (1896-1902). In den Jahren 1903/06 fiel dann die Entscheidung, Kenia zu europäischem Siedlungsgebiet zu machen. Damit war der Grundstein für zentrale Entwicklungen der nächsten Jahrzehnte gelegt. 1920 gab es in Kenia bereits knapp 10.000 Europäer. Bis 1948 wuchs ihre Zahl auf knapp 30.000. Zum Bahnbau wurden Tausende von Indern ins Land geholt, die bald eine wichtige ökonomische und soziale Mittlerfunktion zwischen den europäischen Kolonialherren und den Afrikanern einnahmen. Durch die Ausbreitung der "weißen" Landwirtschaft in den fruchtbarsten Landesteilen wurden die Schwarzen immer stärker auf so genannte Reservate zurückgedrängt, in denen das Land bald knapp wurde.
Szene aus dem Film "Nirgendwo in Afrika"
Koloniale Ausbeutung
Die gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik der Epoche zwischen den Weltkriegen war auf die Interessen der europäischen Siedler und Geschäftsleute ausgerichtet. Einerseits lieferte das die Grundlagen für eine "moderne" kommerzielle Landwirtschaft, für den Ausbau der Infrastruktur und den Beginn einer Industrialisierung – eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Kenia schon damals eine regionale Führungsrolle in Ostafrika übernehmen konnte. Andererseits blockierte man lange und systematisch jegliche Entwicklung der afrikanischen Gebiete (z. B. durch Verbot des Anbaus ertragreicher Produkte wie Kaffee). Durch Zwangsarbeit, Steuererhebung und Landvertreibung wurden viele afrikanische Bauern zu landlosen Farmarbeitern gemacht.
Widerstand und Unabhängigkeit
Bis Ende der 40er Jahre blieb in Kenia das koloniale Ausbeutungssystem voll wirksam. Als Reaktion auf den zunehmenden Druck der afrikanischen Nationalbewegung kam es in der Kolonialverwaltung zu ersten Initiativen, die auf die Schaffung eines multi-ethnischen Staates hinausliefen. Doch erst der von radikalen Gruppen organisierte Mau-Mau-Aufstand (1952-1955) führte schließlich zum politischen Umdenken bei der Kolonialverwaltung. 1957 konnten sich Afrikaner erstmals an den Wahlen zum Gesetzgebenden Rat (Legislative Council) beteiligen, im Mai 1960 wurde die Kenya African National Union (KANU) gegründet, die bis Ende 1991 de facto die einzige politische Partei war. Am 12. Dezember 1964 wurde Kenia Republik im Rahmen des Commonwealth.
Alte Machtkämpfe
Der erste Präsident und unumstrittene Landesvater Jomo Kenyatta dominierte die ersten eineinhalb Jahrzehnte des unabhängigen Kenia. Hemmungslose Bereicherung seines Familien-Clans, rücksichtslose Machtabsicherung und die Inhaftierung oder Ermordung potenziell bedrohlicher Politiker gaben aber auch Anlass zur Kritik. Gleichwohl verstand es das Kenyatta-Regime, die äußeren Merkmale eines liberalen Rechtsstaates und einer parlamentarischen Demokratie aufrecht zu erhalten und zugleich die eigene Machtposition unter Einsatz erheblicher Härte erfolgreich abzusichern.
Kontinuität und Erneuerung
Nach dem Tod Kenyattas im August 1978 ging die Macht verfassungsgemäß an den langjährigen Vizepräsidenten Daniel Arap Moi über. Als Hinweis auf die politische Kontinuität und zur Legitimation seiner eigenen Position prägte er den Begriff Nyayo (Kiswahili = Fußstapfen), der die Nachfolge auf den Spuren Kenyattas aufzeigen sollte. Moi setzte aber auch eigene Akzente. Hierzu gehörten vor allem die Unterbindung der hemmungslosen Landzuteilung an wichtige Parteigänger, der Kampf gegen Korruption und Schwarzmarkt und der Versuch einer Säuberung des Beamtenapparats. Moi verfolgte zunächst eine stark populistisch ausgerichtete Politik, die sich darum bemühte, auf die Nöte der breiten Masse einzugehen. Im Laufe der Zeit zeigte sich aber immer deutlicher, dass sich an der Substanz der Politik nichts geändert hatte und die aus der politischen Macht abgeleiteten Pfründe nur an eine andere Klientel gingen. Neue Machtkämpfe
Mit einer sorgfältigen Ausbalancierung der verschiedenen ethnisch-regionalen Interessen und einer Mischung aus harter Repression gegen oppositionelle Kräfte und beschwichtigenden Liberalisierungsangeboten gelang es Moi, sich dauerhaft an der Macht zu halten. Erst Anfang der 90er Jahre spitzte sich die politische Konfrontation zu und die Regierung musste – nicht zuletzt auf Druck der ausländischen Geberländer – Oppositionsparteien zulassen. Die innergesellschaftlichen Konflikte führten zu blutigen Konfrontationen. Wegen des Wahlsystems kam es 1997 beispielsweise zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Studenten und den Sicherheitskräften. Im Vorfeld der Wahlen 1998 – Moi wurde erneut zum Staatspräsidenten gewählt – gab es viele Tote bei Stammeskämpfen an Mombasas Küste.
Autor/in: Hanns-Jörg Sippel (punctum, Bonn), 21.09.2006