Das Interview führte Margret Köhler.
Wie sind Sie auf den Kriegsfotografen James Nachtwey gestoßen?
Ich blätterte im Flugzeug im "Stern" herum und war von Nachtweys zehnseitiger Fotostrecke über Afghanistan fasziniert. Als ich dann noch las, welche Persönlichkeit dahinter steckte, machte es Klick. Allerdings wusste ich sofort, dass ich keinen der üblichen Dokumentarfilme mit einer vier- oder fünfköpfigen Crew drehen konnte und habe Mikrokameras entwickeln lassen, die an seiner Fotokamera befestigt waren. So konnte er unbehelligt von unserer Anwesenheit arbeiten und diese einmaligen authentischen Momente einfangen. Mein Kameramann drehte mit einer großen Digital-Betacam und versuchte, sich behutsam anzunähern.
Wie haben Sie sich dem Menschen Nachtwey angenähert?
Er ist ein sehr vielschichtiger Mensch, an den man vorsichtig herangehen muss, ein Einzelgänger und nicht gewohnt, dass Leute ihn umgeben. Im Krisengebiet geht es um Entscheidungen über Leben und Tod, da kann man nicht als Gruppe auftreten. Die Idee mit den Mikrokameras war der erste Wendepunkt. Wenn die nicht sofort funktioniert hätten, wäre alles aus gewesen. Die Annäherung entwickelte sich als langsamer und wertvoller Prozess, geprägt von gegenseitigem Respekt, manchmal Skepsis und Distanz. Das Eis brach, als wir uns gemeinsam sechs Tage in der Schwefelmine aufhielten und ich selbst Kamera machte. So etwas verbindet, da erzählt man auch mal persönliche Dinge. Aber es gab nie eine Verbrüderung. Es ist auffallend, dass gerade Ausnahme-Persönlichkeiten, die sich vor Auszeichnungen nicht retten können, im Innern eine tiefe Unsicherheit mit sich tragen.
Sie sind zwei Jahre mit Nachtwey in Kriegsgebieten unterwegs gewesen. Was war der größte Schock für Sie?
Die Wirklichkeit des Krieges hat wenig mit dem zu tun, was wir glauben zu wissen oder in den Tagesschau-Berichten oder den Kriegsreportagen im Fernsehen sehen. Dort gaukelt man uns eine abenteuerliche Atmosphäre vor, eine falsche Spannung, und suggeriert die Möglichkeit der Trennung zwischen Gut und Böse. Für mich war der Krieg auf eine ganz banale Art traurig und stumpf, weit weg vom Thrill bunter Kriegsfilme. Mir kam es nie in den Kopf, Spannung zu erzeugen oder eine Kriegs-Show zu vermitteln. Und ich ärgere mich immer, wenn ich von der Gefährdung der armen Medienschaffenden höre. Die gehört dazu. In Afghanistan starben zehn Medienleute, aber wie viele Tote gab es unter Zivilisten?
Welches Erlebnis hat Sie am meisten geprägt?
Das kann ich nicht genau definieren. Manchmal waren es nur Gerüche. Aber sehr erschüttert haben mich die Ereignisse im Kosovo, die furchtbaren Geschichten, die uns die Leute erzählt haben. Da weiß man, zu was die Spezies Mensch fähig ist. Sogar ein Profi wie Nachtwey blieb davon nicht unberührt.
Kann ein Kriegsfotograf oder ein Dokumentarfilmer trotz allen Grauens noch ein Stück Hoffnung vermitteln?
Schon während der Dreharbeiten habe ich gespürt, dass der Film nicht in dem Stil daherkommt "ach guck doch mal, wie schrecklich der Mensch ist". In uns allen steckt ein immenses Gewaltpotenzial. Es sind die Strukturen, die Gewalt hervorbringen. An deren Änderung müssen wir ansetzen. Deshalb finde ich es wichtig, dass Nachtwey soziale Konflikte aufgreift. Auch die unglaubliche Armut in manchen Ländern ist eine Form von Gewalt, die Gegengewalt provoziert. Dieses Element zieht sich durch die Geschichte der Menschheit. Es ist ein Kampf wie der von Don Quichotte.
Hatten Sie nicht manchmal das Gefühl, in das Geschehen eingreifen zu müssen?
Das war eine weitere Erfahrung. Heute findet man beispielsweise im Kosovo oft nur noch Spuren der Gewalt, wie die Massengräber. Es gibt selbstverständlich Situationen, wo man sich fragt, soll ich jetzt Bilder machen, um vielleicht Empörung oder Anteilnahme zu bewirken, oder hat es einen Sinn, einzugreifen. In solchen Momenten spürte ich eine große Hilflosigkeit. Nachtwey zum Beispiel spricht nie über den Vorfall, als ein Mensch vom Mob gejagt und gelyncht wurde. Er hielt ihm bei der Hatz die Hand. Zweimal in seiner Karriere ist es ihm gelungen, einen Menschen zu retten.
James Nachtwey bei der Arbeit
Ist man nach so einem Dokumentarfilm nicht selbst an der Seele geschädigt?
Natürlich ändert man sich. Nachtwey hat einen Röhrenblick, er kennt das ganze Spektrum und verfügt über die seltene Fähigkeit, immer ganz nahe am Geschehen zu sein. Aber wenn er jedes Mal involviert wäre, könnte er seinen Beruf an den Nagel hängen. Ein Kriegsfotograf muss sich heraushalten, um dem Leser Bilder zu liefern, die einen Diskurs ankurbeln können, eine Reflexion. Ein Chirurg, der einem Krebspatienten den Bauch öffnet und sieht, es ist zu spät für eine Therapie, der geht auch nach Hause und führt sein Leben weiter. Bei mir kam der eigentliche Schock am Schneidetisch. Nach drei Stunden dachte ich, ich schaffe es nicht mehr, den Film zu beenden.
Nachtwey sieht "die große Chance der Fotografie darin, dass sie ein Gefühl für Humanität zu wecken vermag". Fotografie sei eine Form der Verständigung, die sogar zum "Gegengift" werden kann. Teilen Sie diesen Optimismus?
Er fasziniert mich jedenfalls. Ich bin Filmemacher und Nachtwey ist meine Figur. Ich stimme ihm zu, dass der Balkankrieg ohne die Fotos aus Bosnien vielleicht noch nicht beendet wäre oder es ohne die Bilder vom Bürgerkrieg und Hunger in Somalia dort nie eine Intervention gegeben hätte. Ungeschminkte Fotos können sensibilisieren und emotionalisieren – mehr als nur trockene Fakten. Nachtweys erschütternde Bilder über die Folgen von Aids in Afrika wurden in Washington ausgestellt, Lobbyisten und Mitglieder von Pressure Groups jeden Tag damit auf dem Weg ins Capitol konfrontiert. Ich kann mir schon vorstellen, dass dadurch der Druck auf die Pharmaindustrie wuchs, den Ärmsten der Armen wenigstens bezahlbare Medikamente zur Verfügung zu stellen.