Hintergrund
"Immer wieder Hoffnung – immer wieder Blut“ *
(* Titel eines Buches von Zuhdi Al-Dahoodi zur kurdischen Geschichte)
Die Kurden sind eines der ältesten Kulturvölker der Erde und mit ca. 25 Millionen Menschen auch eines der größeren. Aber bis heute sind sie ohne Staat, ohne Pass, mit einer provisorischen Flagge und einer inoffiziellen Nationalhymne, ohne Recht auf Selbstbestimmung . Kurdistan, ihr angestammter Lebensraum, hatte als Knotenpunkt zwischen Asien, Europa und dem Nahen Osten seit jeher große strategische Bedeutung, seine heutige Geltung verdankt es seinen Ölvorkommen und Bodenschätzen.
Herkunft und Glauben
Die Kurden sind Nachfahren der Meder, die bereits Ende des zweiten Jahrtausends vor Christus im heutigen Nordwestiran siedelten und deren wachsende kulturelle, sprachliche und territoriale Einheit die Grundlage für eine kurdische Gemeinschaft schuf. Das Christentum und die Lehre Zarathustras prägten bis zur Zwangsislamisierung im 7. bis 9. Jahrhundert die Religion der Kurden. Heute sind etwa 98 Prozent des Volkes muslimischen, vor allem sunnitischen und schiitischen Glaubens. Die Blütezeit kurdischer Macht lag im 11. Jahrhundert, als den Vertretern kurdischer Fürstentümer sogar führende Positionen in der Zivil- und Militärverwaltung übertragen wurden. Nie mehr waren die Kurden so eigenständig und unabhängig wie zu dieser Zeit. Im 14. Jahrhundert wurden sie dem Osmanischen Reich angegliedert und bis zu seinem endgültigen Zerfall nach dem Ersten Weltkrieg blieb das kurdische Gebiet Schauplatz von Kriegszügen und Aufständen für ein freies Kurdistan.
Aufteilung Kurdistans nach dem Ersten Weltkrieg
Mit dem Untergang des Osmanischen Reichs nach dem Ersten Weltkrieg entstand ein machtpolitisches Vakuum, das die Kurden aber nicht für die Gründung eines eigenen Staates oder wenigstens für die eigene Autonomie nutzen konnten, denn sie waren in den eigenen Reihen zerstritten. So besiegelte 1923 der Vertrag von Lausanne, der zwischen der von Mustafa Kemal (Atatürk) ausgerufenen Türkischen Republik und den Alliierten des Ersten Weltkrieges ausgehandelt wurde, die Aufteilung Kurdistans auf die Türkei, den Iran, den Irak und Syrien. Mit einem Federstrich wurden die Kurden zu Türken, Iranern, Irakern und Syrern. Wie sich schnell herausstellte, standen selbst die ihnen zugebilligten Bürgerrechte nur auf dem Papier. Denn tatsächlich betrieben die Regierungen aller vier Staaten gegen die kurdische Minderheit eine Politik der Umsiedlung und Vertreibung, der gewaltsamen Unterdrückung und Arabisierung.
Eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt
Jeden Machtwechsel begleiteten neue Versprechungen, eingehalten wurden sie nie. Nach amtlichen türkischen Angaben wurden seit dem Dekret über die Deportation der Kurden (1932) fast 1,5 Millionen Kurden vor allem nach Zentral- und Westanatolien vertrieben. Andere Verordnungen erklärten kurdische Schulen, Vereinigungen, Publikationen und politische Parteien, selbst die kurdische Sprache erst für illegal, später für verboten. Was folgte, waren Widerstand und Aufstände, die wiederum mit Zwangsassimilationen, Vertreibungen und Hinrichtungen beantwortet wurden, denen Aufstände und Revolten folgten und so ging es immer weiter. Die einzige autonome Republik der Kurden wurde 1946 mit Unterstützung der Sowjetunion im iranischen Mahabad ausgerufen, nach Abzug der sowjetischen Truppen jedoch wieder zerschlagen. Was blieb, war ein Traum von der Autonomie.
Syrien, Iran und Irak
In Syrien wurden 1962 in einer Sondervolkszählung 120.000 Kurden zu Ausländern erklärt und damit aller Bürgerrechte beraubt. Sie erhielten keine Personalpapiere, konnten keine gültigen Ehen schließen, wurden in keinem Krankenhaus aufgenommen. Im Iran verkündete Ayatollah Khomeini 1979 den heiligen Krieg gegen die Kurden, obwohl er ihnen nach dem Ende der Revolution kulturelle und politische Autonomie zugesichert hatte. Als der irakische Präsident Saddam Hussein während des ersten Golfkrieges 1988 die kurdische Stadt Halabja mit Giftgas bombardieren ließ, starben 5.000 Zivilisten, überwiegend Frauen und Kinder. Zwei Drittel aller kurdischen Dörfer im Irak wurden während dieses Krieges zerstört. Eine neue Welle von Verschleppungen, Massenmorden und Fluchtbewegungen schloss sich an, die bis zum zweiten Golfkrieg nicht abreißen sollte und 1991 mit drei Millionen flüchtenden Kurden einen traurigen Höhepunkt erreichte. Tausende verloren ihr Leben.
Bewaffneter Kampf gegen den türkischen Staat
In der Türkei wurde 1978 die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unter Führung Abdullah Öcalans mit dem Ziel der nationalen Selbstbestimmung und der Errichtung eines freien Kurdistan gegründet. 1984 gab die PKK den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat bekannt. Es folgten Guerillakrieg, Verwüstung der Dörfer, Entführungen, Flüchtlingswellen, Hungerstreiks. Mehr als 32.000 Menschen starben in den Kämpfen zwischen Kurden und türkischem Militär. Im Jahre 1999 verurteilte das türkische Staatssicherheitsgericht Abdullah Öcalan zum Tode. Der Europäische Gerichtshof erklärte das Todesurteil für unrechtmäßig, die Türkei habe gegen das Grundrecht auf einen fairen Prozess verstoßen. Die Strafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Nach seiner Verurteilung rief Öcalan die PKK und ihre Verbündeten auf, den bewaffneten Kampf einzustellen. Der aus der PKK hervorgegangene und von Abdullah Öcalan geführte "Kongress für Freiheit und Demokratie Kurdistans" (KADEK), der in der Türkei als illegal gilt, setzt sich nun mit politischen Mitteln für die Autonomie der kurdischen Bevölkerung, für kulturelle Eigenständigkeit und Mitbestimmung in allen Teilen Kurdistans ein. In Deutschland ist die PKK seit 1993 als "terroristische" Organisation verboten, seit 1998 wird sie eher als "kriminell" eingestuft.
Zukunftsperspektiven nach dem dritten Golfkrieg
Die Zukunft des kurdischen Volkes ist auch nach dem dritten Golfkrieg 2003 ungewiss. Einen autonomen Staat Kurdistan halten selbst die politischen Führer der Kurden zum gegenwärtigen Zeitpunkt für unrealistisch. Sie fordern eine Beteiligung an der neuen irakischen Regierung und die Selbstbestimmung des kurdischen Volkes. Die Vertriebenen sollen in ihre Heimatstädte und -dörfer zurückkehren dürfen. Vor allem die Stadt Kirkuk, die traditionelle Hochburg der Kurden im Nordirak, soll wieder von den Kurden übernommen werden. Die türkische Regierung hat mehrfach gewarnt, dass die Ölfelder von Kirkuk und Mossul nicht unter den Einfluss der irakischen Kurden geraten dürften. Die Türkei befürchtet, dass die Kurden auf der Grundlage des Ölreichtums der Region ihre Unabhängigkeitsbestrebungen vorantreiben und dass dies auch auf die in der Türkei lebenden Kurden ausstrahlen könnte. Für den Fall, das die Kurden Kirkuk und Mossul unter ihre Kontrolle bringen, behält sich die Türkei daher den Einmarsch eigener Truppen vor.
Autor/in: Irina Strelow (punctum, Bonn), 21.09.2006