Hintergrund
Du sollst kein Leben schaffen!
Zur Ethik-Diskussion im Schatten der Gentechnologie
Zum ersten Mal hat es die Schlagzeile 1999 gegeben: "Erstes Menschen-Baby geklont", titelte "Bild" im Juni jenen Jahres. Das war eine Falschmeldung, wie sich später herausstellte. Inzwischen konnte die Schlagzeile wiederholt variiert werden. Sowohl der US-Forscher Panos Zavos wie der italienische Gynäkologe Severino Antinori behaupteten, menschliche Klone gezüchtet zu haben; Frauen hätten die geklonten Kinder zur Welt gebracht. Beweise für die Behauptungen blieben die beiden allerdings schuldig. So sind die Versuche mit der genetischen Kopie eines lebenden Wesens bisher wohl nicht über Schafe und andere Klon-Tiere hinaus gekommen. Und gerade Ian Wilmut, der "Schöpfer" des Klon-Schafs Dolly, bezeichnet nunmehr das reproduktive Klonen von Menschen als wissenschaftlich naiv und ethisch unverantwortlich.
Szene aus "Blueprint"
Der künstliche Zwilling
Inzwischen ist bekannt, was "reproduktives Klonen" (auch im Unterschied zum "therapeutischen Klonen") bedeutet: die Züchtung der genetisch identischen Kopie eines Lebewesens. Einer Eizelle wird zuerst das Erbmaterial entzogen. Dann wird die entleerte Zelle mit der Gensubstanz eines anderen – oder im Fall von
Blueprint desselben – Lebewesens gleichsam befruchtet. Das Ei geht in die embryonale Entwicklung über und kann einer (Leih-)Mutter eingesetzt werden. Am Ende des Prozesses steht die Geburt eines künstlich erzeugten Zwillings des Lebewesens, von dem das genetische Ausgangsmaterial stammt. Es wurden nicht, wie bei der natürlichen Zeugung, zwei Genstränge gekreuzt; ein einziger wurde vielmehr verdoppelt bzw. reproduziert.
Träume und Horrorvisionen
Die Debatte zur Technik des Klonens ist der bisherige Höhepunkt der wissenschaftlichen wie medialen Diskussion über die Entschlüsselung des menschlichen Gen-Codes. Jene Wissenschaftler/innen, die den Code entzifferten, haben um die Jahrtausendwende den Beginn eines neuen Zeitalters ausgerufen. Dank ihrer Entdeckung versprechen sie die Heilung von genetisch bedingten Krankheiten, die Risikominimierung von Behinderung, biologisch planbare Schönheit und Intelligenz. Manche spekulieren sogar auf die Realisierung des uralten Menschheitstraums vom ewigen Leben. Tatsächlich jedoch lässt sich derzeit keines dieser Versprechen in großem Umfang medizinisch einlösen. Auch die Kehrseiten des Diskurses – die Horrorvisionen von Eugenik durch Gen-Manipulation, Züchtungsprojekten, Mischwesen und einer neuen genetisch bedingten Klassengesellschaft – sind daher weit von ihrer Realisierbarkeit entfernt.
Kein weltweites Klonverbot
Dennoch spielen Medienberichte genauso mit Allmachtfantasien wie die Genforscher/innen selbst. Aus diesem Spiel ergeben sich nicht nur philosophische Fragen nach der Selbstdefinition des Menschen und seiner Würde. Es stellen sich auch zahlreiche ethische Probleme – und das bereits vor der tatsächlichen Umsetzung des Klonens von Menschen. Mediziner/innen, Juristen/innen, Politiker/innen sind gefordert, den normativen Rahmen für den Umgang der Forschung mit dem humangenetischen Material – das heißt: mit der DNS, die unsere Erbanlagen enthält und den Embryonen, die aus einer befruchteten Eizelle entstehen – neu abzustecken. Noch ist das Klonen von Menschen in der Bundesrepublik per Gesetz verboten. Doch als es im November 2003 im Rechtsausschuss der UN-Vollversammlung um ein weltweites Klonverbot ging, trugen die deutschen Vertreter/innen zur äußerst knapp beschlossenen Verschiebung einer Entscheidung um zwei Jahre bei. Damit bleibt eine juristische Grauzone bestehen. Es wird daher auch weitere Schlagzeilen über Klon-Babys geben.
Ersatzteillager für Organe
Die Fachleute und Entscheidungsträger/innen waren davon ausgegangen, dass sich derzeit ein Verbot des so genannten therapeutischen Klonens nicht durchsetzen lasse. Bei dieser Technik kommt es nicht zur vollständigen Entwicklung einer menschlichen Kopie. So genannte pluripotente Zellen aus der frühesten Entwicklungsphase eines Embryos können vielmehr zur Züchtung jedes beliebigen Organs genutzt werden. So könnte man quasi ein organisches Ersatzteillager für jeden Menschen anlegen. Bei bestimmten Krankheiten und körperlichen Notsituationen (Unfälle, Organversagen und dergl.) wären dann Transplantationen ohne Problem möglich, weil sich keine genetische Unverträglichkeit einstellen würde. Die Forschung auf dem Gebiet des therapeutischen Klonens wollen sich viele Länder nicht verbieten lassen. Auch Äußerungen der Bundesjustizministerin Brigitte Zypris weisen auf eine Aufweichung des bislang strikten Klonverbots in Deutschland hin. Sie sprach einem künstlich erzeugten Embryo die Menschenwürde ab. Damit deutete sie an, dass man einen Zellhaufen als Forschungsmaterial nutzen könne, obwohl er alle Anlagen zum möglichen Menschen aufweist.
Szene aus "Blueprint"
Ist alles machbar?
In der Debatte um die Gentechnik spielt die "normative Kraft des Fiktiven" eine große Rolle. Diese normative Kraft sorgt dafür, dass Forschungsergebnisse, Medienberichte, Schlagzeilen und die dadurch ausgelösten Erwartungen – und zum Teil Illusionen – die Forschung unter einen Realisierungsdruck setzen, der letztlich dazu beitragen wird, menschliche Schöpfungs- und Allmachtsfantasien zu verwirklichen, seien sie im positiven oder im schrecklichen Sinn utopisch. Für beide Möglichkeiten stehen sich Fraktionen nahezu kompromisslos gegenüber. Die eine bezieht die Position, dass alles machbar sei – und was machbar ist, werde unter Umständen sogar gegen bestehende Gesetze auch ausprobiert, weil es zum Wohle der Menschheit sei. Die andere beharrt auf dem eher konservativen Weltbild, nach dem der Mensch per se mit einer "Würde der Kreatur" versehen sei und als Geschöpf dieser Natur (oder Gottes) vor Manipulationen in seinem "Bauplan" bewahrt werden müsse.
Der Geist aus der Flasche
Der Geist ist in jedem Fall aus der Flasche, wie es im allgemeinen wissenschaftlichen Sprachgebrauch heißt. Mit der Entschlüsselung des genetischen Codes und den Techniken, die sich in der Folge entwickeln, könnte der Mensch eines Tages in einer Weise über den Menschen verfügen und ihn beherrschen, wie es keinem Sklavenhalter und keinem Diktator in der Geschichte der Menschheit je möglich war. Der Mensch verfügt nun über die Bausteine des Lebens, die in jeder menschlichen Zelle gespeichert sind. Bisher sind ethische Systeme errichtet worden, um ein zivilisiertes Zusammenleben der "Bestie Mensch" zu ermöglichen. Die Wissenschaft der Genetik könnte ein viel zentraleres Gebot als jenes erfordern, das bisher den Fortbestand des Lebens garantiert: Du sollst nicht töten! Dieses Gebot könnte heißen: Du sollst nicht Leben schaffen! Und wie bei jedem Gesetz werden sich auch hier nicht alle daran halten.
Autor/in: Heinz Ellfrau, 21.09.2006