Constanze Becker wollte schon immer Schauspielerin werden. Dazu müsse man schon "ein bisschen verrückt sein", sagt sie, und sie könne auch "nicht ins Büro gehen." Stephanie Stremler bewirbt sich trotz zahlreicher Ablehnungen immer wieder an Schauspielschulen, denn: "Wenn ich Theater spiele, dann ist das meine Erfüllung." Von ähnlicher Unbedingtheit ist der Berufswunsch von Karina Plachetka und Prodomos Antoniadis – auch sie bewerben sich, mit tausend anderen, an der renommierten Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch". Regisseur Andres Veiel hat die Entwicklung dieser vier jungen Leute, die ihren Traum verwirklichen wollen, über den Zeitraum von sieben Jahren dokumentiert, die von Kämpfen, Verletzungen, Erfolgen und Kompromissen geprägt sind.
Das erste Vorspielen
Bevor das Auswahlverfahren an der Hochschule beginnt, lässt Veiel seine vier Protagonisten/innen ihren Eltern eine Szene vorspielen. So konfrontiert er sie noch einmal mit deren Erwartungen und Ängsten und ermöglicht zugleich Einblick in den familiären Hintergrund der angehenden Schauspieler/innen. Karina, Constanze und Prodomos überzeugen schließlich die Auswahlkommission der Hochschule. Aber Stephanie wird abgelehnt und erst nach mehreren Versuchen ein Jahr später zum Studium an der "Ernst Busch" zugelassen. Das Glücksgefühl, das ungläubige Staunen über die herzliche Aufnahme durch Studierende und Lehrende der Hochschule weicht bald einem anstrengenden Alltag: Die Dozenten/innen fordern ihre Studenten/innen in körperlicher und psychischer Hinsicht bis an ihre Grenzen. Diese reagieren mit Unsicherheit, Angst und Mutlosigkeit; manche entwickeln sogar Widerstände.
Kritik und Widerstand
"Das ist mir zu wenig innere Beteiligung!", kritisiert ein Dozent Prodomos. Zu Karina sagt die Dozentin: "Das alte Problem: Du entscheidest dich nicht." Zu Constanze ein weiterer: "Du willst zu wenig verändern; machen wir es konkreter, sonst wird es mir zu müde hier!" Die Kritik ist gut gemeint, aber manches Wort kommt unbedacht daher oder wirkt arrogant und das ist verheerend für die Studierenden. Prodomos ist derjenige, der am wenigsten annehmen kann von diesen "Pfeifen", wie er sie hinter ihrem Rücken nennt. So platzt er irgendwann dem Dozenten gegenüber heraus: "Ich finde es lächerlich, mich kotzt es an." Prodomos wird am Jahresende eine mangelhafte Arbeitshaltung, zu wenig Selbstkritik vorgeworfen. Er fällt durch die Zwischenprüfung. Seine Reaktion: "Geht es darum, jemanden zu brechen?"
Kein Selbstvertrauen, keine Sicherheit
Offensichtlich gleicht die Ausbildung an einer Schauspielschule einer Gratwanderung: Schauspieldozenten/innen müssen ihre Studenten/innen dazu befähigen, Vorstellungen der Regie umzusetzen – wenn nötig, auch durch harte Kritik. Andererseits möchte die "Ernst Busch" autarke Persönlichkeiten formen, die kreativ ihre Rollen mitgestalten. Marionetten, die nur gefügig ihr Handwerk ausüben, sind nicht erwünscht. Veiels Film lässt zweifeln, ob diese "Gratwanderung" gelingt. Außerhalb der als mächtig empfundenen Institution grübelt Karina: "Ich habe kein Selbstvertrauen, keine Sicherheit. Ich habe keinen Mut, auf der Bühne was von mir zu zeigen, weil mir das zum Teil noch nicht so aufgehoben scheint …" Constanze lakonisch: "Man ist verfügbar für die. Ich geb 'ne Menge auf von mir. Und ich merke, ohne das geht's auch nicht." Karina schließlich erzählt von ehemaligen Studierenden, die "gegangen worden sind" und heute noch schwanken, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen.
Bedingungen für erfolgreiches Lernen
Weil das Theater ihr Leben ist, scheinen die Schauspielstudenten/innen besonders verletzbar. Parallelen zu anderen Ausbildungsinstitutionen sind offensichtlich: Hier wie dort geht es um das Verhältnis zwischen Lehrer/in und Schüler/in; ein Thema, das für Identifikation sorgt. Allgemein reflektiert der Film aber auch die Bedingungen für erfolgreiches Lernen, etwa das Abwägen von Kritik und Lob, Ermutigung oder Abwertung.
Ausdauer und Durchsetzungsvermögen
Stephanie Stremler nimmt unter den vier Protagonisten/innen eine besondere Rolle ein: Sie scheint zunächst die Anforderungen mehrerer Schauspielschulen nicht erfüllen zu können: Zu groß fand man sie, manche Prüfer/innen konstatierten einen Sprachfehler und bemängelten ihre Bewegungsfähigkeit. Doch Stephanie schafft nicht nur die Aufnahmeprüfung und das Studium, sie erhält ein Engagement am Kasseler Staatstheater. Ihre Entwicklung zeigt, dass es wichtig ist, für seine Ziele zu kämpfen, selbst wenn sie zunächst kaum erreichbar scheinen. Auch Prodomos hat Schwierigkeiten an der Hochschule, er ist der Rebell, der sich nichts gefallen lassen will. Es gelingt ihm jedoch, sich zu arrangieren und er besteht die Prüfung genauso wie Karina und Constanze. Alle vier Protagonisten/innen schaffen den Einstieg ins Berufsleben, werden von verschiedenen Theatern engagiert und übernehmen Rollen in Filmen.
Die im Dunkeln sieht man nicht …
Dieses glückliche Ende eines "großartigen Entwicklungsromans" (Julian Hanich im "Tagesspiegel" vom 6.2.2004) wirft freilich einige Fragen auf, die der Film nicht beantwortet, sie hätten ihn vielleicht auch gesprengt: Wie kommen die knapp tausend jungen Frauen und Männer, die jedes Jahr allein von der HfS "Ernst Busch" abgelehnt werden, mit diesen Entscheidungen zurecht? So ermutigend es ist, vier jungen Erwachsenen zuzusehen, die ihre Ausbildung erfolgreich absolvieren, was ist mit denen, die einfach nicht diese große innere Sicherheit darüber haben, was sie einmal werden wollen, die hin und her grübeln, mit welchem Beruf sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt hätten?
Traum und Albtraum des Schauspielerberufs
In Zeiten ständig neu aufgelegter TV-Formate wie "Popstars" und "Star Search", in denen Schauspieler/innen quasi über Nacht "gebacken werden", leistet dieser Film etwas Wichtiges: Er zeigt, wie viel Arbeit dazu gehört, Schauspieler/in zu werden. Der Beruf verlangt Talent, Energie, Lernfähigkeit, Ausdauer, Selbstbehauptungswillen und Kommunikationsfähigkeit.
Autor/in: Eckart Lottmann, 01.06.2004