Es ist das Jahr 1949, irgendwo im ländlichen Frankreich, in einem Internat, das Fond-de-l´Étang heißt. Hier herrschen Zucht und Ordnung, hier gleicht ein kindliches Lachen bereits einem Übertreten der Regeln. In der kleinen, hermetisch abgeriegelten Welt des Internats gibt es nichts Schönes für die als schwer erziehbar geltenden Jungen, keine Freuden, keinen Ausblick auf ein vielleicht etwas anderes, besseres Leben. Schulleiter Rachin wacht strengstens über seine Eleven, kennt kein Pardon, geht mit teils rohen Strafen gegen jederlei "Vergehen" vor. Von Nachgiebigkeit, Verständnis und Verantwortungsgefühl gegenüber seinen Schülern ist bei ihm nichts zu spüren. Kalt wirkt sein Verhalten, lieblos ist seine Art, ein Tyrann, der an diesem Ort fernab der Welt über die Knaben regiert. Sein pädagogisches Prinzip beruht allein auf "Aktion und Reaktion", Vergehen und darauf folgender Strafe.
Hoffnungsträger Musik
Mit dem Tag, an dem Clément Mathieu die Schwelle des Internats überschreitet, wird sich das Leben der Jungen ändern. Mathieu ist Musiklehrer, arbeitslos, ein kleiner untersetzter Mann, selbst ein Außenseiter so wie jeder der Jungen, und er trägt das Herz am rechten Fleck. Das spüren die Jungen sofort, versuchen aber eine Zeit lang, mit ihm zu spielen, ihn zu benutzen, sich Vorteile zu verschaffen. Erst stecken sie Grenzen ab, dann ist er an der Reihe – und er hat den längeren Atem. Mit stoischer Gelassenheit erduldet er die üblen Streiche und Neckereien der Knaben, die sich ihm bald mehr und mehr öffnen. Den Weg zu ihnen findet Mathieu über die Musik – er gründet einen Chor.
Bündnisse und Gegnerschaften
Spätabends komponiert Mathieu eigene Stücke, die er am Tag darauf mit seinen Schülern ausprobiert. Die Stimmung unter den Jungen verbessert sich spürbar, das gemeinsame Singen spornt sie an. Eine neue Solidarität entsteht, die Einsamkeit und Verlassenheit des Einzelnen wird durch den neuen musikalischen Verband aufgehoben. Besonders der schlaksige Blondschopf Pierre fällt Monsieur Mathieu durch seine ungewöhnliche Stimme auf. Unterdessen verfolgt Rachin das geänderte Schulklima zähneknirschend und missgünstig. Als eines Tages der Neuzugang Mondain für Unruhe und Aggressivität sorgt, jemand im Internat ein Feuer legt und Mathieu mit seinen angehenden Chorsängern auch noch unerlaubterweise im Grünen wandert, spitzt sich die Lage in Fond-de-l´Étang dramatisch zu.
Befreiung durch Musik
"Fond-de-l´Étang" heißt bezeichnenderweise etwa so viel wie "Am Grund des Tümpels". Man muss diese Wortbedeutung aber gar nicht so allegorisch sehen, um das Lebensgefühl dieser Internats-Knaben nachempfinden zu können. Es sind unfreie, äußerlich wie innerlich gefangene junge Menschen, denen ein freier Lebensweg versperrt ist. Hier dominieren Unterdrückung und Zurückweisung. Wie die Schüler sich mit Hilfe der Musik aus dieser misslichen Lage befreien, steht für den französischen Regisseur, Drehbuchautor und Komponisten Christophe Barratier im Fokus seines Leinwanddebüts.
Die Wendung zum Guten ...
Die Kinder des Monsieur Mathieu ist ein ambivalenter Film. Deutlich zeichnet er die allmähliche innere Wandlung einer Klasse und ihrer Mitglieder durch die Hilfe von Musik nach. Die Jungen legen ihre Feindschaften bei und eine bis dato unbekannte Solidarität schweißt die Jungen zusammen. Sie spornen sich gegenseitig an, noch mehr zu üben und zu lernen, noch besser zu singen. Deutlich wird auch, wie der von Monsieur Mathieu ausgehende Ansporn allmählich auf die Jungen übergreift und sich schließlich ganz aus ihnen heraus weiter entwickelt. So begreift etwa Pierre die Beziehung zu seiner ihn nur selten besuchenden Mutter neu und erkennt seine Musikalität irgendwann auch selbst. Und der Film lässt Mathieu, auch wenn er äußerlich Internatsleiter Rachin unterliegt, als der Stärkere erscheinen.
... als des Guten zu viel
Andererseits meint es der Regisseur manchmal etwas zu gut und übertreibt mit seiner gewollten Dramatik. Mitunter wird Mathieu geradezu heroisiert: der Anti-Held als rettender Engel. Die christliche Botschaft: "Schlägt dich einer auf die eine Wange, so halte ihm auch noch die andere hin", könnte durchaus von Monsieur Mathieu selbst stammen. Gerade sein Altruismus als kontrapunktische Haltung zu Rachins Egoismus und Gefühlskälte wirkt partiell zu dick aufgetragen, gleicht zu sehr einem simplen Gut-Böse-Schema. Anderen Filmen mit ähnlicher Thematik, etwa Louis Malles eindringlichem
Auf Wiedersehen, Kinder (1987), fehlt dieser pathetisch-redliche Anstrich. Hier freilich ist die Musik jenes Mittel, das die Menschen dazu bewegt, sich zu öffnen, sich und die anderen neu zu sehen, Vorurteile zu revidieren, Sichtweisen zu überdenken, aufeinander zuzugehen. Das Singen wird hier zum kathartischen Moment, zur Erlösung und Befreiung dieser in Rachins System unterdrückten Jungen. Die im Grund einfache Geschichte zeigt: Kultur bzw. Musik wirkt sinnstiftend und kann die Existenz verändern und mitunter sogar retten.
Autor/in: Thilo Wydra, 01.08.2004