Jugendliche, aufgewachsen in der deutschen Provinz, im bayerischen Starnberg, wo die Welt noch rund und sauber scheint: Im Rudersportclub geben die Jungen alles, für sich, den Verein, die Mädchen und den besten Freund. So brav wie der zweite Film von Marco Kreuzpaintner
Ganz und gar beginnt, soll es aber nicht bleiben. Es geht um das Erwachsenwerden, die erste Liebe und den ersten Sex – und um die Freundschaft zwischen Tobi und Achim, die bisher alles und jeden in den Schatten stellte. Jetzt aber ist Sandra in Achims Leben getreten und Tobi muss argwöhnisch zuschauen, wie ihm Achim entgleitet, Versprechen gibt und wieder bricht, sich alles Stück für Stück verändert. Das ist für Tobi recht schmerzhaft, zumal er langsam eifersüchtig wird, weil er seine unbeschwerte Zeit mit Achim behalten will – und weil er in seinen Freund verliebt ist. Bis Tobi sich das allerdings eingestehen kann, ist er mit seinem Ruderclub längst im Bergischen Land in einem Sommerzeltlager. Fünf Teams wollen sich bei einer Regatta messen, darunter der RC QueerSchlag aus Berlin mit selbstbewussten jungen Männern in engen Trikots. Schnell wird den Jugendlichen aus Bayern klar, dass das aufgedruckte "queer" kein Schreibfehler ist, sondern für "sonderbar" und "eigenartig" steht, genauer für schwul.
Klischees und Vorurteile
In Zeiten der Homo-Ehe und sich outender Politiker dürfte Homosexualität keine "große Sache" mehr sein. Die Jungen vom Ruderclub Starnberg sind dennoch verwirrt. Trotz Bullenhitze ziehen sie sich blitzschnell ihre T-Shirts über und ihre pöbelnde Machoherrlichkeit verstummt – wie es eben ist, wenn sich Rollen vertauschen und man sich plötzlich als Sexobjekt fühlt. Herrliche Szenen sind das, die wissend mit Klischees und Vorurteilen jonglieren, mit denen sich Heteros und Homos begegnen. Und mittendrin erlebt ein kurzhaariger Robert Stadlober, als ungelenker Tobi überzeugend, seinen Hormonaufruhr. Zunächst versucht er sich als Pausenclown und flüchtet sich in Notlügen, denn ein Coming-out erfordert eine gehörige Portion Mut. Wäre Achim danach noch sein Freund? Und wie würde das Team reagieren? Wäre er noch derselbe Mensch?
Homophobe Reaktionen
Trotz der fortgeschrittenen Liberalisierung der Gesellschaft begegnen viele männliche Heterosexuelle Schwulen immer noch pöbelnd mit einer Mischung aus Herablassung, Abscheu und einer halb bewussten Angst, möglicherweise selbst einen Mann anziehend finden zu können. Solche Ängste bringt
Sommersturm sensibel und stimmig auf den Punkt, explizit in Achims Reaktionen. Trotz seiner Sensibilität und femininen Züge kann er mit Tobis Zärtlichkeit nicht umgehen, abgesehen vom gemeinsamen Onanieren, das unter heterosexuellen Jungen häufig ist. Wenn Tobi ihm jedoch das Haar aus dem Gesicht streicht oder ihn küssen will, wird er verlegen und reagiert panisch. Anders als die in Tobi verliebte Anke, die sehr reif mit Tobis Homosexualität umgeht, hat sich für Achim der beste Freund über Nacht verändert. Aus Nähe wird Distanz.
Das "erste Mal"
Regisseur Marco Kreuzpaintner ist erst 27, stammt wie seine beiden Protagonisten ebenfalls aus Bayern, hat früher gerudert, ist schwul und war selbst einmal in seinen besten Freund verliebt. Auch wenn sein eigenes Coming-out weniger Probleme bescherte, weiß er doch, wie nervenaufreibend diese Phase sein kann und dass Erwachsene in diesem Prozess nicht sehr hilfreich sind. So wird für Tobis Entscheidungsprozess die Begegnung mit dem erfahrenen Leo wichtiger: Tobi erlebt mit ihm seinen ersten schwulen Sex. Voyeuristisch wirkt
Sommersturm dabei nie – das Problempuzzle des hetero- wie homosexuellen "ersten Mals" mit allen damit verbundenen Ängsten und Triumphen wird sorgfältig ausgebreitet, ernsthaft gelöst und stolz präsentiert.
Mut zum Coming-out
Sommersturm holt seine jugendlichen Protagonisten aus dem medialen Abseits, in das der deutsche Mainstream-Film Schwule so gerne drängt. Hier werden sie nicht als Drogenabhängige, AIDS-Kranke, Stricher, Fummeltrinen oder gar makellose Helden steriler Vorabendserien präsentiert, sondern als gesunde, sportliche Menschen mit den üblichen Schwächen und Stärken. Dabei wirken die Jungen vom RC QueerSchlag allerdings idealisierend porträtiert, denn ihr selbstbewusster Umgang mit Körper, Sexualität und Konflikten ist für 17- bis 23-Jährige nicht alltäglich, auch nicht für solche aus Berlin. Doch in Zeiten, in denen Hip-Hopper Homosexuelle anfeinden und "schwul" unter Jugendlichen als Modewort für das Gegenteil von "cool" kursiert, kommt
Sommersturm gerade recht. Couragiert wirbelt er alles gehörig durcheinander und versucht sich diskret als politisches Instrument. Sein versöhnlicher Schluss suggeriert, dass Tobis Befürchtungen vor den Reaktionen der anderen auf sein Coming-out überzogen waren. Sein Geständnis ruft bei ihnen weder Entsetzen noch Abscheu hervor, Verständnis und Stolz überwiegen.
Sommersturm will zu einem solchen Schritt ermutigen, der das weitere Leben einfacher macht. Tobi zumindest hat dadurch an Selbstbewusstsein gewonnen.
Autor/in: Cristina Moles Kaupp, 01.10.2004