Es ist heiß. Die Stadt liegt im grellen Licht der Mittagssonne, dennoch herrscht geschäftiges Treiben auf den staubigen Straßen. Mitten im Verkehrschaos lässt sich ein Mann in perfekt sitzendem Anzug, blütenweißem Hemd und korrekt geknoteter Krawatte zum Flughafen chauffieren. Dort angekommen, nimmt er eine große Warenlieferung in Empfang, scherzt mit den Zollbeamten, steckt einem eine Flasche Whisky, einem anderen einen Umschlag zu. Schließlich können er und sein Chauffeur mit ihren Kisten den Flughafen verlassen. Auf dem Rückweg fahren sie noch bei einem Großhändler vorbei, dem sie ebenfalls ein Geschenk zustecken. So könnte der normale Geschäftstag eines Hotelmanagers im Jahr 1994 in Ruandas Hauptstadt Kigali ablaufen, wären da nicht grölende Horden, die sich auf den Straßen zusammenrotten und ein Radiosender, der permanent Hetzparolen gegen einen Teil der Bevölkerung sendet.
Eine authentische Geschichte
Der Held von
Hotel Ruanda heißt Paul Rusesabagina – und es gibt ihn wirklich. Zur Zeit des Völkermordes war er der Manager des Hotels Mille Collines, eines Luxushotels, das der belgischen Fluggesellschaft Sabena gehörte. Im April 1994 entlud sich der lange propagierte Hass militanter Hutu gegen die Minderheit der Tutsi. Hutu-Milizen zogen marodierend durch die Straßen und ermordeten jeden bestialisch, den sie für einen Tutsi hielten, aber auch alle, die sich gegen die Ausschreitungen stellten. Eine maßgebliche Rolle bei den Massakern spielte ein Radiosender, der von morgens bis abends Propagandasendungen gegen die Tutsi ausstrahlte. Die Feindseligkeiten zwischen den Ethnien gehen auf die Kolonialgeschichte Ruandas zurück, als die Tutsi von der Kolonialmacht Belgien zunächst bevorzugt wurden. Einige Informationen zur Vorgeschichte des Massakers liefert der Film in einem schriftlichen Prolog.
Das Hotel als letzter Zufluchtsort
Das Hotel Mille Collines wurde zum Zufluchtsort, weil viele Ausländer/innen dort logierten und es unter dem Schutz einer UN-Blauhelmtruppe stand. Den UN-Soldaten waren jedoch die Hände gebunden: Sie durften keine Waffengewalt einsetzen und waren viel zu wenige, um das Hotel auf Dauer abschirmen zu können. Während schließlich alle Ausländer/innen aus Kigali evakuiert wurden, überließ man die einheimischen Schutzsuchenden ihrem Schicksal. Binnen 100 Tagen starben etwa eine Million Menschen. Die Weltöffentlichkeit nahm von diesem Völkermord kaum Notiz, denn auch nahezu alle Medienvertreter/innen hatten die Flucht angetreten. Paul Rusesabagina ist selbst Hutu, galt in den Augen der marodierenden Masse aber als Verräter, weil er ihren politischen Gegnern und vielen Tutsi Unterschlupf gewährte. Mit seinem ganzen Mut und unter ständigem Einsatz seines Lebens benutzte er seine politischen und geschäftlichen Verbindungen, seine finanziellen und materiellen Ressourcen, um die Flüchtlinge in seinem Hotel zu schützen und immer mehr von ihnen aufzunehmen. Schließlich waren es über 1200 Personen, die dort ausharrten, bis die Kämpfe vorüber waren.
Mut zum Engagement
Hotel Ruanda ist kein Dokumentarfilm; vielmehr rekonstruiert er die Ereignisse und erweitert die Perspektive über die subjektive von Paul Rusesabagina hinaus: Gelegentlich führt der Film nach Brüssel in die Sabena-Zentrale oder nach Washington, wo die Ereignisse in Ruanda kommentiert werden. Doch vor allem geht es um die Person des Paul Rusesabagina, eines durchschnittlichen Mannes in mittlerem Alter, der plötzlich zur Stellungnahme in einem politischen Konflikt gezwungen wird. Zunächst sind es private Motive, die ihn dazu bewegen: Er ist ein weltoffener, vorurteilsfreier Mann, mit einer Tutsi verheiratet und Vater von mehreren Kindern. Über die ethnische Zugehörigkeit seiner Freunde und Bekannten hat er sich bisher kaum Gedanken gemacht und sieht durch den eskalierenden Konflikt darüber plötzlich seine Familie bedroht und sein soziales Umfeld auseinander brechen.
Ein Held im Maßanzug
Über seine Familie hinaus engagiert sich Rusesabagina für die Rettung anderer Menschen mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln: Er kauft seine Nachbarn frei, besticht einen befreundeten hohen Militär und einen Großhändler, bei dem er sich mehr Nahrungsmittel für die unfreiwilligen Hotelgäste beschafft. Don Cheadle spielt diesen Mann als geradezu überkorrekten Vorgesetzten und europäisch geprägten Weltbürger, der sich ein frisches Hemd anzieht, wenn die Verzweiflung ihn zu überwältigen droht. Inmitten der archaisch anmutenden Massaker ist Paul Rusesabagina ein Außenposten der westlichen Welt, den seine Maßanzüge wie ein Korsett stützen. Auch von seinen Angestellten verlangt er Pflichterfüllung und korrektes Auftreten noch im größten Chaos – und er hat damit Recht: Sich gehen lassen, so signalisiert er, ist der erste Schritt zur Selbstaufgabe. Beide Generäle, der marodierende Hutu-Anführer und der von Nick Nolte gespielte ohnmächtige UN-Befehlshaber sind als Gegenentwürfe zu Rusesabagina angelegt: Ersterer wird als saufender Despot, letzterer als handlungsunfähige Marionette einer Alibi-Macht dargestellt.
Wohldosiertes Grauen
Zu den eindrucksvollsten Szenen des Films gehört eine Fahrt im Frühnebel: Rusesabagina und sein Assistent haben Lebensmittel besorgt und fahren ins Hotel zurück. Als der Nebel sich lichtet, stellen sie fest, dass die Straße, auf der sie fahren, von Leichen bedeckt ist, so weit der Blick reicht. Im Hotel angekommen, fällt Rusesabagina für einen Moment der Verzweiflung anheim. An dieser Stelle wird klar, warum der Film darauf verzichtet, die Gewaltorgien im Detail zu zeigen: Hätte Rusesabagina die ganze Zeit von all dem Grauen um ihn herum gewusst, hätte er womöglich nicht durchgehalten und das Publikum wäre von solchen Bildern womöglich ebenfalls überfordert.
Autor/in: Daniela Sannwald, 01.04.2005