Hintergrund
Der Sinn des Lebens
Eine einfache Antwort
Was ist "Der Sinn des Lebens"? Die Frage lässt sich ganz einfach beantworten: ein Film der britischen Komikergruppe Monty Python aus dem Jahr 1983. Die Handlung von Der Sinn des Lebens allerdings beruht auf bewusstem Nonsens – Unsinn. Nonsens wird oft als eine Spielart der Freiheit empfunden. Sie befreit – für Momente jedenfalls – auch von der Sinnfrage. Ganz am Ende des Python-Films verkündet eine Fernsehsprecherin doch noch den Sinn des Lebens: nett sein zu anderen, fettes Essen meiden, gute Bücher lesen, spazieren gehen und versuchen, mit allen Menschen friedlich auszukommen. Das ist eine Liste banaler Forderungen an die individuelle wie an die soziale Befindlichkeit. Für manche Menschen mag sie durchaus dem Lebenssinn entsprechen.
Was soll ich denn hier?
In einem Zeitalter hochgradiger Individualisierung wird kaum eine allgemeinverbindliche Antwort auf die Sinnfrage möglich sein. Viele Menschen vermeiden es daher, sie überhaupt zu stellen. Sie sind da, sie konsumieren, sie tun, was sie tun müssen, sie versuchen, glücklich zu sein. Aber sie weichen der Reflexion darüber aus. Erst wenn ihre Lebensweise an Grenzen stößt, wenn sie in eine Krise des Daseins geraten, werden sie mit der Frage nach dem Sinn ihres persönlichen wie ihres gesellschaftlichen Handelns konfrontiert. Was soll ich denn hier? Was tue ich eigentlich?
Die größeren Zusammenhänge
Wir wissen nicht, wann die Sinnfrage erstmals unter dem Sternenzelt gestellt wurde, wann die Evolution des Menschen den Punkt erreichte, an dem er begann, über seine Herkunft und seinen Fortgang nachzudenken. Doch bereits die ersten Texte, die von der Kulturgeschichte überliefert werden, wie das babylonische Gilgamesch-Epos oder Inschriften in ägyptischen Pyramiden, handeln von Phänomenen, die über Geburt und Tod des Individuums hinausweisen. Das Gilgamesch-Epos erzählt von Göttern und von der Suche nach Unsterblichkeit. Die Pyramidentexte geben der Seele Gebrauchsanweisungen für ihr Verhalten im Jenseits. Seit Jahrhunderten und Jahrtausenden suchen die Menschen nach Transzendenz, nach einer Vorstellung, die über ihr physisches Leben hinausgeht und ihm einen Sinn jenseits der messbaren und wahrnehmbaren Lebensspanne gibt.
Die Ausbildung von Sinn-Systemen
Die Sinnerklärungen lieferten ihm die Mythen. Sie handelten von Göttern und übermenschlichen Helden, allerdings auch von unfassbaren Katastrophen und mächtigen Ungeheuern. So wurde die fiktive Außenwelt zu einem Spiegel der menschlichen Innenwelt. Denn auch das gehört offensichtlich zu den Grunderfahrungen und Grundannahmen der Menschen: Sie fanden sich zum Guten wie zum Bösen fähig; sie schufen (Sprach-)Bilder für diese Fähigkeiten und brachten diese Bilder in Systeme, die das Böse eingrenzen und das Gute belohnen sollten. Wir nennen diese Systeme Religionen oder Philosophien. Ihre vornehmste Aufgabe besteht darin, Antworten auf die Sinnfrage zu entwickeln.
Paradies oder Nirwana
Eindeutig oder gar übereinstimmend sind diese Antworten allerdings keineswegs. So gibt das Christentum den Gläubigen einen Sinn in der messianischen Jesus-Gestalt und im Glauben an ein transzendentes Paradies. Der Buddhismus dagegen sieht den Lebenssinn darin, den Kreislauf der Wiedergeburten zu beendeten und ins Nirwana einzugehen, Buddha zufolge den Zustand des Erlöschens aller irdischen Bindungen. Allerdings findet man auch in der Bibel einen erstaunlich existenzialistischen Text in dem alttestamentarischen Buch Kohelet. Darin wird als Prämisse der Satz formuliert: "Wenn du tot bist, ist es zu Ende mit allem Tun und Planen, mit aller Einsicht und Weisheit." Als Konsequenz wird gänzlich diesseitig und immanent vorgeschlagen: "Genieße froh jeden Tag, der dir gegeben ist. ... Alles, was dann kommt, ist sinnlos."
Glückseligkeit und Lebenskrisen
Andere Philosophen/innen verkündeten freilich andere Erkenntnisse. Wobei vor allem in der griechischen Antike der Lebenssinn als Zielvorstellung im Dasein behauptet wurde. Demnach strebt der Mensch zuerst nach Glückseligkeit. Wenn er sie erreicht, dann nagt der Sinnzweifel kaum noch an ihm. Das entspricht weit gehend der Beobachtung der modernen Psychologie. Dort wird der Lebenssinn als eine Empfindung der absoluten Harmonie des Bewusstseins definiert, als ein bruchloses Aufgehen von Sein und Handeln, als Übereinstimmung von Erwartung und Befriedigung. Man könnte schlicht formulieren: als Zufriedenheit. In der Erschütterung durch eine Krise wird allerdings oft alles anders. Dann fühlt der Mensch sich meist aufgefordert, sich zu hinterfragen und seinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Der mag in sozialem Engagement liegen, in künstlerischer Herausforderung, in egoistischem Hedonismus oder in religiöser Überzeugung –Voraussetzung ist immer ein Akt der Entscheidung, ein Akt der menschlichen Freiheit, ein Moment des Erwachens.
Die Freiheit zum Sinn
Da in unserer modernen Zeit viele Menschen nicht mehr in Religionen oder Weltanschauungen Sinnvorgaben suchen, ist jedes Individuum aufgerufen, sich seinen Lebenssinn frei zu wählen - sei er transzendent oder immanent. Zu den Wahlmöglichkeiten gehört es selbstverständlich auch, eine tiefere Daseinsberechtigung zu negieren, sich einzupassen in die Natur, die biologisch einen einzigen Sinn offenbart: fortzuexistieren. Als Teil der Natur ist auch der Mensch auf Fortpflanzung angelegt, und viele sehen den Lebenssinn in ihren Kindern. Andererseits hat der Mensch eben auch die Freiheit, diesen Sinn zu leugnen und sich der Fortpflanzung zu verweigern. Schließlich kann er aus Ratlosigkeit vor dem Dasein sogar die Konsequenz des Selbstmords ziehen. Damit entzieht er sich der Sinnfrage total und radikal.
Godot und Sisyphos
Für diese Situation der Herausforderung aber auch der Ausweglosigkeit, hat das 20. Jahrhundert zwei große Existenzerzählungen geschaffen. Die eine ist Albert Camus’ philosophischer Essay Der Mythos von Sisyphos. Gegen den Selbstmord wird darin die Tätigkeit in der Erkenntnis des Absurden gesetzt. Sisyphos weiß, dass der Stein, den er den Berg hinauf wälzt, vor dem Gipfel herabstürzen wird. Er wälzt ihn trotzdem, und Camus meint: "Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen." Die andere Existenzerzählung ist Samuel Becketts Theaterstück Warten auf Godot. Obwohl Godot, der ihnen helfen könnte, niemals kommt, warten die Landstreicher Wladimir und Estragon von Akt zu Akt weiter auf ihn. Das ist ein wunderschönes Bild vom Prinzip Hoffnung, das nahtlos zum Prinzip Sinn gehört. Wem all das aber zu komplex erscheint, dem bleibt immer noch die ultimative Antwort des Computers in Douglas Adams’ Roman "Per Anhalter durch die Galaxis" auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest". Bekanntlich lautet sie: "42".
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 08.12.2006
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