Interview
"Wir wollten eine Zustandsbeschreibung"
Ein Gespräch mit Irma-Kinga Stelmach (32) und Bartosz Werner (28), die bei Preußisch Gangstar gemeinsam Regie führten.
Beide sind in Polen geboren und studieren an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf (HFF) in Potsdam-Babelsberg.
Preußisch Gangstar ist ihr erster Spielfilm.
Das Interview führte Thomas Winkler.
Wie entstand die Idee zu Preußisch Gangstar?
Stelmach: Ich habe die Hauptdarsteller Benjamin, Mario und Robert für einen Kurzfilm über eine Agentur gefunden. Wir haben die drei unabhängig voneinander gecastet und sie dann zu einem Arbeitstreffen eingeladen, um zu sehen, wie sie als Clique funktionieren würden. Da haben wir dann alle erstaunt festgestellt, dass sie sich schon aus Buckow kennen und gute Freunde sind.
Werner: Die Idee zu Preußisch Gangstar entstand dann bei den Dreharbeiten zu dem Kurzfilm. Wir sind uns sehr nahe gekommen und es war schnell klar, dass wir einen weiteren Film machen wollen. Anfangs noch einen Dokumentarfilm, aber die Jungs wollten lieber einen Spielfilm.
Die Protagonisten haben entschieden, dass es ein Spielfilm wird?
Stelmach: Die erste Idee war zwar ein Dokumentarfilm, aber uns wurde schnell klar, dass wir keine Milieustudie machen wollen. Wir wollten die Probleme zwischen den Generationen beschreiben, die Verzweiflung, die Ursachen für Gewalt und Drogen. Und das wäre dokumentarisch nicht möglich gewesen, weil ich eine reale Figur lange nicht so in Frage stellen kann, lange nicht so ambivalent darstellen kann wie eine Spielfilmfigur. In einem Dokumentarfilm musst Du die Figuren nach dem Warum ihrer Handlungen fragen, im Spielfilm kannst Du das offen lassen.
Werner: Wir wollten die Protagonisten nicht denunzieren.
Interessanterweise haben Sie eine dokumentarische Filmsprache gewählt: Handkamera, Realmusik, natürliche Beleuchtung, Drehen an Originalschauplätzen. Warum?
Stelmach: Das Authentische, das Dokumentarische interessiert uns eigentlich ebenso wenig wie eine stringente Geschichte, aber wir wollten eine Zustandsbeschreibung, wollten zeigen, was in den dreien vorgeht, und da durfte man die Inszenierung auch nicht zu sehr spüren.
Werner: Wir wollten dem Zuschauer genügend Freiraum geben, um seine eigene Interpretation in die Bilder einschreiben zu können. Deshalb haben wir eine Distanz mit der Kamera aufgebaut, die oft wie hinter Mauern oder Zweigen versteckt wirkt. Die Kamera spiegelt auch eine innere Unruhe der Protagonisten wieder. Der Film ist bewusst sperrig, um die Zuschauer dazu zu bringen, genauer hinzuschauen. Sie müssen sich auf die Protagonisten einlassen, sonst bleibt ihnen der ganze Film verschlossen.
Wie entstand das Drehbuch?
Stelmach: Es gab kein Drehbuch, sondern nur ein Treatment, in dem die Szenen und das, was uns darin wichtig war, kurz beschrieben wurden. Aber innerhalb dieses Rahmens wurde improvisiert.
Werner: Dass das so gut gelaufen ist, lag vor allem an der fast einjährigen Recherche im Vorfeld und dass wir das Treatment immer mit unseren Hauptdarstellern durchgegangen sind. Die konnten sagen: "Ja, Bartosz, das habt Ihr Euch ja schön ausgedacht, aber das würde ich nie so sagen."
Wie stark war die Einflussnahme der Hauptdarsteller?
Stelmach: Sie haben die Charaktere mit uns zusammen entwickelt. Es wäre auch Quatsch zu sagen, die haben ihr eigenes Leben gespielt. Das hätte nicht funktioniert, denn wir haben die Protagonisten schon sehr bewusst als Charaktere entwickelt, die mit dem Schritt ins Erwachsenenleben kämpfen. Sie haben ganz unterschiedliche Probleme und für uns sind diese drei Figuren eigentlich drei Aspekte eines einzigen Charakters.
Werner: Wenn es nach den dreien gegangen wäre, dann hätten wir "Pulp Fiction 2" gedreht. Als wir ihnen die erste Fassung vorgelegt haben, waren die total erbost und wollten nicht mehr mitmachen: "Was, ich weine doch nicht, ich zeige doch keine Schwäche."
Stelmach: Also haben wir gesagt: "Entweder ihr macht mit oder wir suchen uns andere Darsteller." Da waren wir knallhart. Und dann haben sie sich darauf eingelassen
HipHop spielt eine wichtige Rolle in Preußisch Gangstar. Inwiefern wollte sich der Film beispielsweise von einem Aufsteiger-Märchen wie 8 Mile mit Eminem unterscheiden?
Stelmach: Preußisch Gangstar ist kein HipHop-Film. Eine der Figuren hat den Lebenstraum, Rapper zu werden. HipHop ist für Nico vor allem eine Möglichkeit, seine Ängste, seine Träume nach außen zu kommunizieren.
Werner: Wie haben nie gedacht: Da muss unbedingt Musik rein. Die Geschichte war uns das Wichtigste und HipHop ist eine Meta-Ebene, in der sich die Ängste der Figuren spiegeln können.
Ist Preußisch Gangstar auch ein Film über die wirtschaftlichen Probleme, die Perspektivlosigkeit in Ostdeutschland?
Stelmach: Wir wollten nicht in erster Linie den Konflikt zwischen alten und neuen Bundesländern thematisieren. Das spielt als Hintergrund eine Rolle, wir haben das auch nicht ignoriert, aber wir wollten den Film nicht davon dominieren lassen. Der Film könnte auch anderswo spielen.
Werner: Man macht sich etwas vor, wenn man meint, im Westen Deutschlands könnte es so etwas nicht geben. Beim Festival in Locarno, sogar in der reichen Schweiz, kamen nach der Vorführung Leute zu uns und sagten: "Ey, das kennen wir!"
Autor/in: Thomas Winkler, 27.09.2007
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