Interview
"Historische Ereignisse über das Erleben eines Menschen vermitteln"
Ein Gespräch mit Regisseur Florian Gallenberger über sein Kriegsdrama John Rabe (D 2009) und seine Annäherung an eine historische Figur.

Florian Gallenberger am Set mit Ulrich Tukur
Florian Gallenberger, 1972 in München geboren, studierte Philosophie, Psychologie und Russisch und wechselte 1992 zur Hochschule für Fernsehen und Film HFF seiner Heimatstadt. Während seiner Ausbildung inszenierte er Kurzfilme und wirkte an Wim Wenders’ Studentenfilmprojekt
Die Brüder Skladanowksky (D 1993–96) mit. Sein Abschlussfilm
Quiero Ser (D 1998/99) über den Überlebenskampf von Straßenkindern in Mexico City wurde 2000 mit dem Studenten-Oscar® und 2001 mit dem Oscar® für den besten Kurzfilm ausgezeichnet. 2005 kam sein erster Spielfilm
Schatten der Zeit (D 2004) in die deutschen Kinos, der als bester Erstlingsfilm mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde.
John Rabe ist Gallenbergers zweiter abendfüllende Spielfilm.
Herr Gallenberger, was hat Sie an der Figur John Rabe gereizt?
Seine Ambivalenz. John Rabe hatte aus heutiger Sicht ganz zweifelhafte Ansichten und ein falsches Bild von Hitler und dem Nationalsozialismus. Durch die historischen Ereignisse geriet er dann in eine Verantwortung, die ihn zwang, über sich selbst hinauszuwachsen, seine Überzeugungen zu überdenken und den Werten, die er hat, treu zu bleiben. Diese Entwicklung finde ich spannend.
Ist Rabes Geschichte für Sie eine Heldengeschichte?
Rabe ist schon eine Heldenfigur, aber er kommt erst zu dieser Rolle und muss in sie hineinwachsen. Er ist jemand, der durch seine Tat eigentlich alles verliert: seine Position, seine Frau, zumindest glaubt er das, seine Gesundheit, seinen materiellen Besitz. Und damit ist er ein ganz anderer Held als dieser strahlende Held, der am Ende als Sieger da steht. Er ist jemand, der gerade durch das, was er in Nanjing geleistet hat, in Deutschland in Vergessenheit gerät und nicht belohnt wird.
Der Film basiert auf Rabes Tagebüchern. Haben Sie sofort den Filmstoff darin erkannt?
Tagebücher sind natürlich keine Filmgeschichte. Sie sind wahnsinnig interessant, spannend, historisch sehr wertvoll, aber sie haben keinen dramaturgischen Bogen, keine Zuspitzung. Das war die Hauptarbeit beim Schreiben des Drehbuchs – aus dieser unglaublichen Menge von einzelnen Ereignissen und Details, das herauszufiltern, was dann die Geschichte erzählen kann.
Ihr Film ist keine Dokumentation, sondern ein Spielfilm, der stark auf Gefühle setzt. Wie haben Sie sich dem historischen Stoff genähert?
Die erste grundlegende Frage war: Erzählt man im Vordergrund dieses große historische Panorama, das Massaker von Nanjing oder erzählt man im Vordergrund die Figur Rabe? Und ich habe entschieden, dass Rabe im Zentrum stehen soll. Denn ich finde es interessant, historische Ereignisse über das Erleben eines Menschen zu vermitteln, nicht als Geschichtsstunde. Wenn Sie sagen, das ist Gefühlskino, dann ist das gut. Denn man soll sehen, wie sich Geschichte auch emotional im Leben der Menschen niederschlägt. Nach dieser Grundsatzentscheidung folgte dann ein Prozess, wo man die Figur kennen lernen und verstehen muss, wer dieser Mensch jenseits der Fakten war. Gleichzeitig habe ich so viel Quellenmaterial wie möglich gelesen. Parallel zu dieser Arbeit bin ich etwa alle drei Monate nach China, wieder zurück, habe geschrieben, recherchiert und bin dann wieder nach China.
Rabe war NSDAP-Mitglied. Hatten Sie moralische Bedenken, ihn ins Zentrum zu stellen?
Ich wollte niemals einen Film drehen, der etwas relativiert oder die Aussage hat: "Es gab auch gute Nazis!" Man muss aber sehen, dass John Rabe zu dem Zeitpunkt, zu dem die Geschichte spielt, schon fast 30 Jahre in China lebt. Er war 1930 zum letzten Mal in Deutschland. Das heißt, er kennt das Nazi-Deutschland nur vom Hörensagen und aus großer Distanz. Zudem darf man nicht vergessen, dass Hitler damals international noch anders wahrgenommen wurde. Ich glaube, in seiner politisch naiven Art hat Rabe angenommen, dass Hitler ein Humanist und der Nationalsozialismus eine Arbeiterbewegung ist. Was man ja auch daran sieht, dass er voller Überzeugung an Hitler schreibt und denkt, der weiß nicht, was in China passiert.
In einer Schlüsselszene des Films wird die Hakenkreuzflagge zum Schutzschild. Eine schwierige Szene.
Es ist eine wahre Geschichte, es gibt Fotos davon. Dass die Ikone der Vernichtung in einem anderen historischen Kontext genau das Gegenteil bedeuten kann, ist irritierend. Aber vor allem ist es ein Zeichen dafür, dass man Geschichte nicht aus der Routine heraus betrachten kann. Es sind einzigartige Ereignisse, die, um sie verstehen zu können, genau angeschaut werden müssen.
Viele werden erst durch Ihren Film von John Rabe erfahren. Ohne geschichtliche Vorkenntnisse weiß man jedoch nicht, was beruht im Film auf Fakten, was ist Fiktion?
Es ist immer so etwas wie ein Balanceakt. Natürlich ist es kein Dokumentarfilm, es ist ein Spielfilm. Aber es ist ein historischer Spielfilm, der auf einer wahren Geschichte beruht und damit gibt es auch eine Verpflichtung zur wahrheitsgetreuen Wiedergabe der Verhältnisse. Denn der Wert dieses Films geht Hand in Hand mit dem, wie authentisch und glaubhaft alles ist. Wir haben den Zeitablauf etwas kondensiert, wir haben ab und zu Ereignisse zusammengelegt, um so dramatische Zuspitzungen zu erreichen. 80 Prozent der Figuren sind historisch belegt. Wir haben das Drehbuch und dann den fertigen Film einem Japanologen und einem Sinologen vorgelegt. Beide sind zum Glück zu dem Ergebnis gekommen, dass man durch den Film ein sehr realistisches Bild davon bekommt, was in Nanjing geschehen ist.
Wo liegt für Sie bei John Rabe der aktuelle Bezug?
In der Thematik Zivilcourage. Wie schon gesagt, ich finde nicht, dass Rabe diese Art Held ist, der sagt: "Ich mach’ das alles!" Das war ein ganz normaler Typ, der plötzlich in eine Situation gerät, in der das normale Leben aus den Fugen gerät, der aber angesichts dessen, nicht seine Koffer packt, sondern für seine Werte und Überzeugungen einsteht. Dieses Einstehen für Überzeugungen, hat, glaube ich, jetzt Aktualität. Denn wir befinden uns gerade in einer Krise, in der materielle Werte zerfallen, wodurch nicht-materielle Werte wieder aufgewertet werden. Da ist jemand wie Rabe, der für seine Überzeugung alles Materielle hinten angestellt hat, eine wertvolle Figur.
Autor/in: Kirsten Taylor, Redakteurin von kinofenster.de und fluter.de, 26.03.2009
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