Interview
Keine Entwarnung
Ein Gespräch mit Dr. Peter Frisch, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Das Interview führte Volker Thomas.
Interviewpartner: Dr. Peter Frisch
Bei der Bundestagswahl im September hat die rechtsextreme Szene zusammen keine fünf Prozent aufgebracht. Ist Entwarnung angesagt? Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?
Die rechtsextremistische Szene zehrt immer noch von dem Erfolg der Deutschen Volksunion in Sachsen-Anhalt im März 1998. Die NPD und die DVU haben im vergangenen Jahr ihre Mitgliederzahlen um gut ein Fünftel erhöhen können, die Republikaner sind etwa gleich geblieben. Gegenwärtig sind wieder verstärkte Bemühungen zu beobachten, sich zu einigen, so etwas wie eine "Nationale Front" zu bilden. Aber bis jetzt ist das in der Vergangenheit immer daran gescheitert, dass jede der Gruppierungen gerne ihren eigenen "Führer" aufs Schild heben wollte. Insgesamt ist die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen, sie liegt aber immer noch zwischen 700 und 800. Und wir beobachten, dass die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten steigt. Eine Entwarnung kann leider nicht gegeben werden.
Im Film American History X tauchen Drahtzieher auf, die Skinheads für ihre Zwecke benutzen. Gibt es solche Drahtzieher auch in Deutschland?
Wir beobachten, dass rechtsextremistische Gewalttaten nur selten gezielt und geplant begangen werden. Sie gehen in den meisten Fällen auf spontane Entschlüsse zurück, werden unter Alkoholeinfluss begangen oder durch den Gruppenzwang ausgelöst. Drahtzieher in diesem Sinne gibt es hier nicht, wohl aber geistige Brandstifter: Sie schaffen durch ihre Agitation und ihre Parolen das Klima, in dem dann Skinheads oder andere Rechtsextremisten spontan zur Gewalt greifen.
Gibt es Verbindungen zwischen der Neonazi-Szene in den USA und den entsprechenden Gruppen in Deutschland?
Es gibt in den USA eine "NSDAP-Aufbauorganisation", eine kleine Gruppe, die in der Vergangenheit massenweise Propagandamaterial aus den USA nach Deutschland geschickt hat. Seit ihr Vorsitzender Gary Lauck in Haft sitzt (er wurde 1996 in Hamburg unter anderem wegen Volksverhetzung zu vier Jahren Haft verurteilt, d. Red.), sind die Verbindungen schwächer geworden. Viel mehr Sorgen macht mir das Internet: Wir beobachten, dass besonders aus den USA auf diesem Wege eine Vielzahl von Agitationsmaterial auch nach Deutschland kommt. Das reicht von verbotenen Symbolen wie dem Hakenkreuz über Judenhetze bis hin zur Anleitung zum Bau von Bomben. Und wir können es mit unseren Gesetzen nicht verhindern.
Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung ein?
Ich mache mir Sorgen um die Jugend, besonders in den neuen Bundesländern. Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die auf eine Zunahme rechtsextremistischer Anfälligkeiten unter Jugendlichen, auch an Gymnasien, hinweisen. Die Ursache mag darin liegen, dass sie abweichen wollen, sich unterscheiden wollen vom Althergebrachten. Der Linksextremismus ist out, da haben sie gerade einen großen Schiffbruch mitbekommen. Auf der anderen Seite sind sie politisch noch so unerfahren, haben so wenig Zutrauen zu unserem Rechtsstaat, dass sie sehr schnell zum Opfer dieser rechtsextremistischen Parolen und Argumente werden. Es ist zwar eine Minderheit, aber jeder Schüler, der rechtsextremistisch denkt, ist mir schon einer zu viel.
Gehören Links- und Rechtsextremisten eigentlich zum normalen Spektrum der Meinungen in einer Demokratie?
Sie gehören zum Randbereich jeder normalen demokratischen Gesellschaft. Damit werden wir auch in Zukunft leben müssen. Allerdings können wir nur damit leben, wenn sich die große Mitte nicht gleichgültig verhält, sondern bemüht ist, die Propaganda dieser Extremisten auf beiden Seiten zu entlarven und zu widerlegen. Da sind wir alle gefordert, jeder Einzelne. Die Jungen müssen erkennen, wie gefährlich dieser Extremismus sein kann, sie müssen wissen, dass sie mit dem Feuer spielen, wenn sie sich mit solchen Gruppen einlassen.
Autor/in: Volker Thomas, 11.12.2006