Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam: Georges, ein junger Mann mit Down-Syndrom, der in einem belgischen Heim für Behinderte lebt, und der arrivierte Bankmanager Harry, der Trainingskurse für erfolgreiches Verkaufen gibt. Harrys streng reguliertes Karriereleben läuft wie ein Uhrwerk ab, das auch den Takt bestimmt, wenn der Workaholic in seine sterile, leere Wohnung zurückkehrt. Und Georges macht sich auf die Suche nach seiner Mutter, die seit vier Jahren tot ist. Beide verbindet die Einsamkeit und die Sehnsucht nach Geborgenheit. Der Behinderte träumt immer wieder von seiner liebevollen Mutter, und der 'Gesunde' sehnt sich nach seiner Frau, die ihn verlassen hat und mit den Kindern weggezogen ist. Die Lebenswege der beiden kreuzen sich, als Harry nachts auf einer Landstraße einen Hund überfährt und plötzlich Georges vor ihm steht. Harry nimmt Georges vorübergehend mit nach Hause. Bei seinen Versuchen, ihn loszuwerden, kommen sich die beiden näher, auch weil Georges seine Gefühle ganz unmittelbar zum Ausdruck bringt. Sie werden schließlich Freunde und helfen sich gegenseitig in schwierigen Situationen.
Zwei Welten lässt der belgische Regisseur Jaco Van Dormael in dem tragikomischen Beziehungsdrama zusammenprallen, "zwischen Ordnung und Anarchie, Vernunft und Wahnsinn, zwischen dem Weißen Clown und dem Dummen August." Der harte Kontrast der Ausgangssituationen wird jedoch bald überwunden, und die Lebenswelten der beiden Protagonisten nähern sich immer mehr an. Auf der einen Seite steigt der Behinderte aus dem schnöden Heimalltag aus und sucht nach besseren Lebensmöglichkeiten; auf der anderen Seite gerät der Konformist durch seine Familie in einen Ausnahmezustand, in eine Sinnkrise, die er nur mit Georges Hilfe überwindet. Geschickt arrangiert der Regisseur diese beiden Lebenswelten, auch wenn er dabei die totale private Isolation des Managers überzeichnet, der anscheinend keinerlei Freunde oder gute Bekannte hat.
Der zweistündige Film wird vor allem getragen von der perfekten Harmonie im Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller: der von Trisomie 21 betroffene, sehr talentierte Pascal Duquenne, der seit 1985 in Theatergruppen spielt, und dem französischen Star Daniel Auteuil. Beide wurden auf dem diesjährigen Filmfestival in Cannes gemeinsam als 'Beste Darsteller' ausgezeichnet. Vor allem die unbändige Spielfreude von Duquenne erleichtert den Zuschauern den Zugang zur Gefühlswelt eines Menschen mit Down-Syndrom und fördert so das Verständnis zwischen vermeintlich 'Gesunden' und 'Kranken'. Zu den Stärken des zweiten langen Spielfilms Van Dormaels – nach dem vielfach ausgezeichneten
Toto der Held (1991) – zählt auch die virtuose Kameraführung von Walther vanden Ende, der erneut faszinierende Bilder für die zuweilen geradezu verspielt anmutenden, visuellen Einfälle des Regisseurs geschaffen hat. Allerdings überschreitet die Inszenierung mancher Traumszenen von Georges, etwa die Auftritte des schmalzlockigen mexikanischen Tenors Luis Mariano, bei allem Verständnis für großes Gefühlskino die Grenze zum Kitsch. In der Konzentration auf die ungewöhnliche Männerfreundschaft vernachlässigt die Regie leider die Charakterisierung der Nebenfiguren. So wird nicht verständlich, dass Julie zum Beispiel nicht begründen kann oder will, warum sie es nicht mehr mit Harry ausgehalten hat, nicht einmal mehr seine Berührungen erträgt, die auf ihrer Haut "brennen". Ihr Hinweis, Harry sei selbst zu dem Verkaufssystem geworden, das er im Beruf propagiere, bleibt zu vage. Erst am Ende erschließt sich, dass die eisig wirkende Julie sich als Hausfrau und Mutter offenbar vernachlässigt gefühlt hat.
Wenn aber Georges am Anfang seine humorvolle Version der biblischen Schöpfungsgeschichte erzählt und Harry sie am Ende mit kleinen Varianten wiederholt, dann ist diese symbolische Übernahme der optimistischen Lebenseinstellung von Georges schlüssig. Harry hat erst durch ihn gelernt, die Selbstisolation zu überwinden und zu den einfachen Freuden des Lebens zurückzufinden, etwa wenn er, wie zuvor mit Georges, mit seinen Kindern im Gras liegt und den Himmel beobachtet. Problematisch wird das bewegende Plädoyer für ein vorurteilsfreies Miteinander von Behinderten und Nicht-Behinderten jedoch, wenn Georges trotz seiner gefährlichen Schokoladen-Allergie am Ende mit glücklichem Lächeln Pralinen in sich stopft, auf dem Dach von Harrys Bank umhertanzt und seinen Todessturz auf ein hübsch arrangiertes Blumenbeet wie eine Erlösung inszeniert. Man muss nicht so weit gehen wie einige Kritiker, die dem Filmemacher unterstellen, er benutze den Behinderten nur zur Läuterung des Nicht-Behinderten, oder der Selbstmord des Mongoloiden sei eine zu einfache 'Lösung'. Andere Fragen liegen näher – zumindest wenn man den Schluss nicht märchenhaft-poetisch begreift, sondern als realistische Sequenz interpretiert: Wenn der doch so lebensbejahende Georges nun endlich einen wahren Freund gewonnen hat, warum nimmt er sich dann das Leben?
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.12.1996