Matthew Poncelet ist wegen Mordes an einem jungen Pärchen und Vergewaltigung zum Tode verurteilt und wartet in einem Gefängnis von Louisiana auf seine Hinrichtung mit der Giftspritze. Dieses umstrittene Verfahren ist in den USA seit einigen Jahren in Mode gekommen und verdrängt den "elektrischen Stuhl" als angeblich humanere und zeitgemäßere Form des staatlich sanktionierten Tötens. Seine an eine Hilfsorganisation übermittelte Bitte um Briefkontakt wird von Schwester Helen Prejean erhört, die als Mitglied eines säkularisierten katholischen Ordens ihr Leben der Unterstützung von Hilfsbedürftigen gewidmet hat. Nach anfänglichen Bedenken erfüllt Schwester Helen die Bitte des sich zunächst verstockt gebenden Todeskandidaten. Sie besucht ihn im Gefängnis, hilft ihm bei der Vorbereitung eines Gnadengesuches und leistet Poncelet seelischen Beistand in den letzten Tagen vor seiner Hinrichtung, nachdem das Gesuch abgelehnt worden ist. Zwischen den beiden grundverschiedenen Menschen entwickelt sich eine intensive Beziehung. Poncelet erfährt durch die Nonne zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl von Nächstenliebe und Verständnis, während sie sich beharrlich in die fremde Gedankenwelt des Mörders einzufühlen versucht und um seine Schulderkenntnis ringt, die lange auf sich warten lässt.
In seiner zweiten Regiearbeit (nach
Bob Roberts) hat Tim Robbins zwar ein schwieriges Thema aufgegriffen, es aber äußerst publikumswirksam und spannend in Szene gesetzt, ohne Klischees zu bemühen oder auf plumpe Schaueffekte zu setzen. Der Erfolg des Films in den USA ist neben seinen exzellenten Hauptdarstellern Sean Penn und Susan Sarandon, die für ihre Rolle einen Oscar erhielt, vermutlich auch dem viel gelesenen Tatsachenbericht der echten Schwester Prejean zu verdanken, der die Vorlage abgab.
Dead Man Walking ist zum Glück kein Proklamationskino für oder gegen die Todesstrafe. Robbins versucht, möglichst viele Aspekte des Themas zu berühren und lässt Befürworter wie Gegner der Todesstrafe in ihrer Gefühlswelt und mit Argumenten differenziert zu Wort kommen. Das ist eine Stärke aber auch eine Schwäche des Films. Er ist dort am eindrucksvollsten, wo sich Schwester Prejean zum ersten Mal nach der Gerichtsverhandlung auch mit den Angehörigen der Opfer konfrontiert sieht. Sie sucht diese aus eigenem Antrieb später noch mehrmals auf, muss deren Misstrauen überwinden, sich mit ihren offenen Feindseligkeiten auseinander setzen. Sie erfährt von ihrer persönlichen Tragik, von den Versuchen, den erlittenen Verlust der Kinder zu verstehen oder zu verarbeiten.
Aus dieser Fülle des dramatischen Materials sollen sich die Zuschauer selbst ein Urteil bilden. Das wäre nicht möglich, wenn sich die Konflikte noch vor Ende des Films sozusagen von selbst lösten, etwa indem sich in letzter Minute noch die Unschuld des Mörders herausgestellt hätte. Leider stolpert Robbins in seinem Bemühen um Differenzierung doch noch über einen offensichtlich schon im Tatsachenbericht angelegten Fallstrick, vielleicht auch deshalb, weil er dabei bewusst keinen eigenen Standpunkt erkennen lässt. Erst im Angesicht des Todes bekennt sich Poncelet zu seinen Taten. Die Todesstrafe als extremes Mittel zur Selbsterkenntnis, der Zweck, der letztlich alle Mittel heiligt, auch das staatlich verordnete Töten – soll das die Botschaft des Films sein?
Autor/in: Holger Twele, 01.04.1996