Je besser der Boden, desto ertragreicher die Ernte. Jedes Jahr im Frühling schwemmt der Fluss Enguri Erde aus den Bergen des Kaukasus in die Ebene hinab, wo sich fruchtbare kleine Inseln bilden. Obwohl sie ebenso schnell weggespült werden können, wie sie sich geformt haben, geht der alte Abga das Risiko ein. Zusammen mit seiner Enkelin Asida säht er auf einer der Inseln Mais aus. Die Pflanzen sprießen, die mühevolle Bewirtschaftung scheint sich auszuzahlen. Immer wieder stören jedoch Schüsse und patrouillierende Soldaten den eingespielten Rhythmus. Als Grenzfluss ist der Enguri Schauplatz des Konflikts zwischen Georgien und der abtrünnigen Region Abchasien. Eines Tages findet Asida einen Verwundeten zwischen den Maispflanzen. Ihr Großvater und sie pflegen und verstecken ihn. Das Gleichgewicht auf der Insel beginnt zu bröckeln.
Die Maisinsel, Szene (© Neue Visionen)
Fast ohne Dialoge, im kammerspielartigen Setting der Insel erzählt der bildstarke Film des georgischen Regisseurs George Ovashvili von nichts Geringerem als dem Kreislauf des Lebens. Die anstrengende Arbeit auf dem Maisfeld wird quasi dokumentarisch präsentiert. Es ist beeindruckend zu beobachten, wie mit einfachsten Mitteln Nahrungsquellen erschlossen werden. Das Wachstum und die Fragilität der Pflanzen haben auch eine symbolische Dimension: Asida entwickelt sich vom Mädchen zur Frau; der einfache Mensch unterliegt den Gesetzen der Natur und seiner Zeit. Das Ringen mit den Elementen, zwischen Alter und Jugend, Soldaten und Zivilisten, Mann und Frau legt die Kameraarbeit offen.
Nah- und Großaufnahmen fangen kleinste Regungen im Minenspiel ein.
Totalen,
Kamerafahrten und
Aufsichten setzen die Figuren in Beziehung zum Raum: zur Größe ihrer Arbeit, zur Winzigkeit ihrer Entfaltungsmöglichkeiten.
Obwohl
Die Maisinsel aufgrund der langsamen, poetischen Erzählweise nicht den Sehgewohnheiten entspricht, besticht der Film durch die Kraft seiner Bilder. Ansprechend ist die Einfachheit, mit der grundlegende Fragen des Lebens verhandelt werden. Im Unterricht kann etwa über das empfindliche Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur gesprochen werden; im Speziellen über Subsistenzwirtschaft. Inwiefern der Film ein Plädoyer für Menschlichkeit und Selbstbestimmung ist, zeigt das Beispiel des Verwundeten, der ungeachtet seiner Herkunft aufgenommen wird und zu dem Asida eine zarte Beziehung aufbaut. Im Fach Politik oder Geschichte kann der Kaukasuskrieg 2008 bzw. der bis heute schwelende Konflikt zwischen Georgien, Abchasien, Südossetien und Russland beleuchtet werden. Schließlich öffnet eine Analyse der kunstvollen Machart des Films den Blick für alternative Darstellungsformen jenseits des Mainstream.
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Marguerite Seidel
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.