Blaues Meer, helles Sonnenlicht, ein Schiff, eine Möwe –
Ein Lied für Argyris beginnt mit Bildern eines griechischen Idylls. Und wendet sich dann, abrupter könnte der Wechsel kaum sein, einem dunklen Kapitel der Geschichte zu: Am 10. Juni 1944, Griechenland steht unter deutscher Besatzung, überfällt eine SS-Division das kleine Dorf Distomo. Die Soldaten nehmen Rache für einen Partisanenüberfall und töten 218 wehrlose Zivilisten, darunter Säuglinge, Frauen und Greise, auf zum Teil bestialische Weise. Argyris Sfountouris ist dreieinhalb Jahre alt, als er und seine drei Schwestern das Blutbad überleben, bei dem seine Eltern und 30 Angehörige umgebracht wurden. Von nun an müssen sie lernen, mit der "Unfassbarkeit des Krieges" zu leben.
Ein Lied für Argyris ist das Porträt eines beeindruckenden Kämpfers gegen das Vergessen und ein Film über ein traumatisiertes Dorf, das bis heute jedes Jahr des Massakers als "Stunde Null" gedenkt. Der Schmerz der Betroffenen wird spürbar, wenn sie wie unter einem inneren Zwang von den grausigen Details berichten, mit aller Macht nicht vergessen, nicht verdrängen wollen. Es ist die Scham, überlebt zu haben, die sie auch nach mehr als sechzig Jahren quält. Der Film begleitet seinen Titelhelden, diesen seltsam ruhigen, charmanten, manchmal erstarrt wirkenden Mann, zu den Ruinen des Waisenhauses, in dem er die ersten Jahre nach dem Massaker verbrachte, und folgt ihm in die Schweiz, wo er in einem Kinderdorf mit Kriegswaisen aus der ganzen Welt aufwuchs. In Schwyzerdütsch erzählt Argyris von seinen Jahren als Physikstudent und Lehrer in der Schweiz, von der Zeit als Entwicklungshelfer und von seinen Bemühungen, dazu beizutragen, dass sich Verbrechen wie in Distomo nicht wiederholen. Argyris und seine Schwestern organisieren Gedenktage und Konferenzen und klagten vor deutschen Gerichten. Eine Entschädigung wurde den Opfern von Distomo nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes jedoch nicht zugebilligt. Eindringlich, mitfühlend, aber ohne Rührseligkeit erzählt Ein Lied für Argyris nicht nur von der Bewältigung persönlicher Trauer, sondern auch von dem zweifelhaften Umgang Deutschlands mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit.
Autor/in: Thomas Winkler, 13.05.2007