Jedes Jahr am vierten Donnerstag im November machen sich Millionen in Amerika auf, um im Kreise der Familie den traditionellen Thanksgiving Day zu feiern. Auch die allein erziehende Mutter Claudia Larsons packt ihre Koffer, obgleich sie sich am liebsten vergraben möchte, hat sie doch gerade ihren Job verloren, leidet an Schnupfen und ihre 16-jährige Tochter will sich außerdem noch unbedingt vom Freund entjungfern lassen. So steigt das Häufchen Elend allein und stressgeplagt in den Flieger, um in Baltimore von Vater und Mutter geherzt zu werden. Im trauten Heim ist die Zeit stehen geblieben, dudeln die Schlager der 60er Jahre, regiert das Heile-Welt-Denken und der Vater sieht sich im Keller die Kinderzeit seiner Sprösslinge auf Schmalfilm an. Einzige Rettung in der erstickenden Harmonie ist Tommy, Claudias homosexueller Bruder, der einen Freund, Leo Fish, mitgebracht hat, den neuen Liebhaber, wie sie annimmt. Zum Festmahl gesellen sich noch die leicht verwirrte Tante und die spießige Schwester samt konservativem Gatten und lästigen Kindern. Bald streiten sie sich wie die Kesselflicker. Am Ende des Tages bleiben Chaos, Tränen und Enttäuschung, aber auch der Wille zur Versöhnung. Und Claudia entdeckt plötzlich Leos Charme. Doch bevor sie sich wirklich näherkommen, funkt wieder ein Familienmitglied dazwischen ...
Jodie Foster beweist in ihrer zweiten Regiearbeit Talent für leise Zwischentöne und Ironie. Wenn sich die Sippschaft mit Vorwürfen, Sticheleien und diskriminierenden Enthüllungen traktiert, vermittelt sie ein Bild, das wahrscheinlich typischer für Familientreffen ist als die Mär von ewigem Zusammenhalt. Da behandeln Eltern Erwachsene wie Kinder, verdrängt man die Realität, weil sie den eigenen Vorstellungen und Wünschen nicht entspricht, möchte niemand Kontroversen, weil man sich ja so selten sieht. Die auf einen Tag im Jahr konzentrierte Liebe erdrückt, die familiäre Vergangenheit reicht nicht zur Gemeinsamkeit. So können die Protagonisten die überholte Rollenverteilung nur kurze Zeit durchhalten, dann macht sich die eigene Erfahrungswelt bemerkbar, erinnern sie sich an die kleinen und großen Verletzungen, die sie sich gegenseitig zufügten und "rächen" sich. Da man sich trotz aller Distanz zu gut kennt, weiß man um die Schwächen des anderen. Nichts ist mehr tabu: Tommys Homosexualität, Claudias verpfuschtes Liebesleben, der Frust der bodenständigen Schwester, die im Grunde ihre Herzens die "Nestflüchtlinge" beneidet.
Auch wenn beim entlarvenden Seelenstrip die unterschiedlichen Charaktere aufeinanderprallen und Entfremdung und Unverständnis zu Tage tritt, macht sich die Regisseurin nicht über die manchmal bewusst überzogen dargestellten Figuren lustig, sondern zeichnet sie mit liebevoller Nachsicht und leichtem Humor. "Teil einer Familie zu sein" ist für sie "wie mit einigen Menschen in einem Aufzug zu stecken, mit denen einen sonst nichts verbindet".
"Die amerikanische Entwicklung zeigt, dass Familie und Individualismus immer schon stark waren, ohne sich deswegen gegenseitig zu schwächen. Verstärkte individuelle Autonomie oder mehr Selbstverwirklichung führen nicht unbedingt zum Verlust der Bindungsbereitschaft, sondern zur Anspruchssteigerung. Das erhöht natürlich die Belastung der Beziehungen, bedeutet aber keineswegs die Abkehr von ihnen." (Günter Burkart, Soziologe)
Trotz Kritik an überholten Ritualen und scheinheiligen Liebesbezeugungen, ist der Film eine warmherzige Hommage an die Institution Familie. Schließlich – so die Botschaft – kann man Familienbande nicht einfach kappen. Wie in einem Spiegel erkennt man in den Defiziten der anderen die eigenen Fehler, lernt etwas über sich selbst. Und mögen sich alle noch so sehr streiten, eines ist gewiss: Der nächste Pflichtbesuch, der nächste "Thanksgiving Day" kommt bestimmt.
Autor/in: Margret Köhler, 01.02.1996