Inhalt
Der Journalist Knut Elstermann lernt 1967, als Kind, Gerda, eine Freundin seiner Großmutter, kennen. Gerda kommt aus New York nach Ost-Berlin zu Besuch und hatte offenbar früher ein Kind, über das man nicht sprechen darf. Knut, etwa sieben Jahre alt, bleibt dieses Geheimnis lebhaft im Gedächtnis. Knapp vierzig Jahre später macht er sich auf den Weg nach Amerika, um es zu lüften. Aber Gerda hat ihre Erlebnisse in Auschwitz und die Erinnerungen an ihre Tochter mehr als sechzig Jahre verschwiegen. Ihre Gründe sind so vielschichtig wie ihre Lebensgeschichte, die sich nach und nach aus den Erzählungen ergibt. Knut Elstermann muss mehr als einmal erkennen, dass seine Rekonstruktion der Vergangenheit Konsequenzen für Gerdas Gegenwart hat – für ihre Beziehung zu Nachbarin und Sohn, für ihre Sicht auf sich selbst und ihr Geheimnis.
Umsetzung
Britta Wauer stellt in ihrem Film die Suche des heutigen Journalisten nach Aufklärung über die Vergangenheit die Verantwortung für seine Gesprächspartnerin, ihre Geschichte und ihre Familie gegenüber. Die enge Verbindung von Zeitgeschichte und Gegenwart wird in dieser Konfrontation besonders deutlich und findet eine einfache Antwort auf die Frage, was uns frühere Ereignisse heute noch angehen. Aktuelle Bilder von New York und Berlin wechseln sich mit alten Fotos und Filmausschnitten so ab, dass sich die abgebildeten Menschen aus den verschiedenen Zeiten fließend miteinander verbinden. Dabei entsteht aus Kindheit, Jugend, frühen Erwachsenenjahren, der ersten Zeit in Amerika, den späteren Ehejahren und der heutigen Zeit ein Lebensmosaik, das die Nationalsozialisten gezeichnet haben, das jedoch vor allem durch Gerdas Persönlichkeit, ihre Kraft und ihre Ausstrahlung geprägt ist. Gerda, die in alten schwarz-weißen Fotos farbig hervorgehoben wird, erweist sich als lebensbejahender und stärker als ihre Verfolger und jene Verbrecher, die dieses Leben zu zerstören versuchten. Britta Wauer arbeitet dabei immer wieder mit intensiver, lebhafter Musik, die den (Über-)Lebenswillen und die Lebendigkeit von Personen, Bildern und Perspektiven betont.
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit
Wie recherchiert man Familiengeschichte? Wie findet man Personen, die in der Vergangenheit eine wichtige Rolle spielten? Was ist "Oral History" und welche Grenzen sind zu beachten, wenn man sehr persönliche Ereignisse öffentlich macht? Knut Elstermann hatte mit seinem Buch Gerdas Schweigen gebrochen. Britta Wauers Film setzt dort an, wo die Konsequenzen seiner journalistischen Arbeit deutlich werden: Gerdas Geschichte hat ihren Sohn erreicht, der die Ereignisse in ihrer Vergangenheit nicht kannte. Entsprechend erzählt der Film nicht nur behutsam seine anrührende, bewegende Lebensgeschichte, sondern folgt auch den Motiven des Journalisten, den Konsequenzen seiner Suche und der öffentlichen Enthüllung der Ereignisse. Die Frage, wie Neugier, Forschungsinteresse und Recherche mit sehr privatem, persönlichem Andenken kollidieren können und wie das Erzählen von Ereignissen aus der Vergangenheit unangenehme, verdrängte Erinnerungen und Gefühle wecken kann ist auch eine gute Frage an jegliche biografische Forschung.
Filmsprachlich eignet sich der Dokumentarfilm hervorragend zur Betrachtung und Analyse von Persönlichkeitsporträts und biografischen Erzählungen, z.B. hinsichtlich der Frage, ob es objektives Berichten geben kann, wann (deutlich gemachte) Subjektivität der bessere Weg ist und wie man die Unterscheidung hervorhebt oder wie Musik die Absichten untermalt, Zeiten verknüpft und innehalten lässt.
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Rotraut Greune, 19.09.2008, Vision Kino 2008.