Der Schüler Karl, der sich auf das Abitur vorbereitet und in einer wohlhabenden Familie behütet aufwächst, nimmt das Internet ernster als viele seiner Altersgenossen: Er filmt seinen Alltag und stellt diese Aufnahmen auf seinen Blog – auch solche Aufnahmen, in denen seine Familie und seine Freunde zu sehen sind. Ist dies schon alleine Anlass für manchen Ärger, so gerät der ruhige Alltag in Gefahr, als Karl aus Rache für eine unerwartete Zurückweisung eine Aufnahme eines intimen Moments mit seiner Angebeteten Doro ins Netz stellt. Die soziale Welt der Berliner Oberschicht ist derart eng verwoben, dass Doros Mutter wegen dieses Vorfalls Karls Vater geschäftlich erheblich schaden kann. Eine besondere Rolle spielen die Follower von Karls Blog, die über das Netz immer mehr Einfluss auf ihn nehmen, so dass sich die Frage stellt, wer überhaupt noch das Heft in der Hand hat. Der Zusammenhalt der Familie wird so auf eine ernste Probe gestellt, und Karl muss sich die Frage stellen, welche Werte ihm wirklich wichtig sind.
Die erste eigenständige Regiearbeit Julia Langhofs greift ein oft behandeltes Thema auf: die Frage nach dem Erwachsenwerden, nach der Ablösung von den Eltern und nach den Versuchen, die sozialen Beziehungen zu gestalten, auch die Suche nach einer erfüllenden Liebesbeziehung. In dieses Thema ist das neue Medium Internet eingewoben, dessen Möglichkeiten, das eigene Leben zu publizieren, hier im Mittelpunkt stehen. Diese Verfahren des "life logging" und die Kommunikation über soziale Medien werden filmtechnisch interessant umgesetzt, vor allem dort, wo die Follower in Karls Leben und das seiner Familie eingreifen, ohne je persönlich vor Ort zu sein.
Coming of Age in den Zeiten des Internets, so könnte man die Versuchsanordnung beschreiben. Der Film hält eine überzeugende Balance zwischen dem Technischen – wie kann man die Stimmen der immer abwesenden Follower in die Handlung integrieren? – und der dramatischen Inszenierung der emotionalen Konflikte, die Karls unbekümmerter Umgang mit der Privatsphäre seiner Mitmenschen auslöst.
LOMO – The Language of Many Others, Szene (© Farbfilm Verleih)
Der Film bietet eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten für den Unterricht: die künstlerische Umsetzung und die filmische Sprache, die Medien und ihr Einfluss auf die Privatsphäre sowie die Gestaltung der Beziehungen. Wenn diese Themen im Unterricht nacheinander entfaltet und dann in Beziehung zueinander gesetzt werden, können spannende Fragen aufgeworfen werden. Ein übergreifendes Thema ist die Privatsphäre, deren Wert die Hauptfigur Karl auf die leichte Schulter nimmt. Die Instagram-Generation kann hier auf dem Umweg der Auseinandersetzung mit der künstlerischen Position des Films ihren eigenen Umgang mit der Frage finden, welche Bilder in welchem Medium publiziert werden sollten und wie groß der Einfluss digitaler Freundschaften auf das Leben werden darf. Da der Film nicht mit einer einfachen Moral aufwartet, ist die Chance gegeben, im Gespräch über die Figuren eigene Positionen zu hinterfragen und zu finden.
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Tilman Bechthold-Hengelhaupt, 04.05.2018, Vision Kino 2018.
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