Die rettende Zone
1937, zur Zeit des zweiten japanisch-chinesischen Krieges, lebt der Hamburger Kaufmann John Rabe seit fast 30 Jahren mit seiner Frau Dora in China. Der naive Hitler-Verehrer und NSDAP-Ortsgruppenleiter führt in Nanjing (Nanking), damals Hauptstadt des Landes, die Geschäfte der dortigen Siemens-Niederlassung. Nun soll Rabe von dem fanatischen Nationalsozialisten Werner Fließ abgelöst werden und nach Deutschland zurückkehren. Während seiner Abschiedsfeier beginnt die japanische Armee mit einem Fliegerangriff ihre militärische Offensive auf Nanjing. Gegen den Willen seines Nachfolgers lässt Rabe die Werkstore öffnen,

um den Hilfe suchenden Arbeiter/innen Einlass zu gewähren. Unter andauerndem Beschuss breitet Rabe eine überdimensionale Hakenkreuzfahne im Hof aus, unter der die chinesischen Zivilisten/innen Schutz suchen. Der Plan geht auf: Angesichts der Fahne des deutschen Bündnispartners verschonen die Japaner das Firmengelände. In einer Krisensitzung beschließen die in Nanjing verbliebenen Ausländer/innen, unter ihnen Rabe, der deutsch-jüdische Diplomat Georg Rosen und der US-amerikanische Arzt Robert Wilson, die Einrichtung einer internationalen Sicherheitszone für die Zivilbevölkerung. Auf Drängen seiner Mitstreiter/innen übernimmt Rabe den Vorsitz des leitenden Komitees, wird doch angenommen, dass er als Deutscher und als NSDAP-Mitglied über eine bessere Verhandlungsbasis mit den Japanern verfügt. In letzter Minute entscheidet sich Rabe schließlich, nicht mit seiner Frau nach Deutschland abzureisen. Er stellt sich der Verantwortung, die ihm als Leiter des Komitees übertragen wurde, und bleibt in der belagerten Stadt.
Leben im Ausnahmezustand
Während der wochenlangen massiven Angriffe richten die japanischen Streitkräfte in Nanjing ein Blutbad an. Tausende Chinesinnen und Chinesen
fallen Exekutionen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen zum Opfer. Immer mehr Zivilisten/innen strömen in die Sicherheitszone. Bald herrschen auch dort unerträgliche Zustände: Es gibt zu wenig Lebensmittel, die Medikamente gehen schnell zur Neige und wiederholt kommt es zu gewalttätigen Übergriffen durch japanische Armeeangehörige. Um die Zone erhalten zu können, müssen die Komitee-Mitglieder schwierige Verhandlungen mit den Besatzern führen und auch untereinander immer wieder nach einem Konsens suchen. Doch am Ende können Dank des selbstlosen Engagements von Rabe und seinem Komitee etwa 250.000 Chinesinnen und Chinesen dem Massaker von Nanjing entgehen.
Heldenepos und Liebesgeschichte
Regisseur Florian Gallenberger zeichnet in seinem Film diese einschneidende Phase im Leben des Mannes nach, der in China wegen seines couragierten Einsatzes als "lebender Buddha" verehrt wird. John Rabe ist als großes Ausstattungskino inszeniert, inklusive perfekt choreografierter Massenszenen, Liebesgeschichte(n) und emotionsgeladener
Filmmusik. Getragen wird der Spielfilm von Ulrich Tukur, der überzeugend und facettenreich die Titelrolle spielt. Dabei ist seine Figur eindeutig als Sympathieträger angelegt, was dem Film den Anstrich eines Heldenepos' verleiht. Deutlich wird dies besonders im Gegensatz zum recht eindimensional gezeichneten Fließ. Die fiktive Figur des Werner Fließ vereinigt in sich die negativen Seiten eines überzeugten Nationalsozialisten. Damit wird Rabe in ein sehr positives Licht gestellt: Er erscheint als reiner Humanist, dessen politische Gesinnung im Film lediglich als "charakterliche Schwäche" gewertet wird.
Fakten und Fiktion
Das Drehbuch beruht auf Rabes Tagebüchern, die nach seinem Tod im Jahr 1950 verschollen waren und 1996 unter dem Titel
John Rabe. Der gute Deutsche von Nanking veröffentlicht wurden. Allerdings hat Gallenberger aus dramaturgischen Gründen und um den Schwerpunkt auf den universellen, menschlich-moralischen Aspekt der Geschichte zu legen, Figuren und Ereignisse ergänzt oder umgedeutet: Wie bereits erwähnt, ist etwa Rabes Gegenpart, der regimetreue Fließ, fiktiv und auch die dramatische Abreise seiner Frau ist erfunden. Als roter Faden für die Filmhandlung dienen Tagebuchauszüge, in denen Rabe im Off seine Eindrücke und Gefühle schildert, was eine unmittelbare Verbindung zur historischen Folie herstellt, vor der
John Rabe spielt. Unterstützt wird dies visuell durch den Einsatz dokumentarischer Aufnahmen jener Zeit, die so authentisch in den Spielfilm
montiert sind, dass sie mitunter schwer als Archivmaterial erkennbar sind. Allerdings erzählen sie nur wenig über die tatsächlichen Zustände in Nanjing – so wie auch der Film den eigentlichen Anlass für den Krieg zwischen Japan und China nicht umfassend vermittelt und die aktuellen politischen Verhältnisse in Deutschland unter der Hitler-Diktatur weitgehend ausblendet.
Geschichte einer Wandlung
Obwohl auch die Schicksale anderer Figuren von der Ausnahmesituation in Nanjing erzählen, steht Rabe und insbesondere seine persönliche Wandlung im Mittelpunkt der Handlung. Rabe wird als ein redlicher, konservativer
Unternehmensleiter eingeführt, der fest an Hitler und den Nationalsozialismus glaubt. Den Einheimischen begegnet er als
Herrenmensch mit eindeutiger Geringschätzung. Die Chinesen seien wie Kinder, die man erziehen müsse, gibt er etwa seinem Nachfolger Fließ als Rat mit auf den Weg. Angesichts des japanischen Vernichtungsfeldzugs wächst Rabe über sich selbst hinaus: Er tut alles in seiner Macht stehende, um so viele Menschleben wie möglich zu retten – er wird in der Not zum Held. Dabei stellt er seine politischen Überzeugungen hinten an und hört auf sein Gewissen, dem er auch persönliche Belange unterordnet.
Umkehrung eines Symbols
John Rabe nutzt gezielt seine Privilegien als mit Japan verbündeter Deutscher, die er als NSDAP-Mitglied und Ortsgruppenleiter besitzt, um die Bewohner/innen der Zone zu schützen. In einer historisch verbürgten Schlüsselszene des Films – John Rabe lässt die Hakenkreuzflagge als Schutzschild ausbreiten – bündelt sich die Widersprüchlichkeit, die sich auch in Rabes Persönlichkeit und Handeln wieder findet: Ausgerechnet das Symbol des deutschen Nationalsozialismus' wird zum Ort der Zuflucht und des Schutzes, ein Nationalsozialist und

überzeugter Anhänger Hitlers wird zum Lebensretter – aus heutiger Sicht eine verstörende Perspektive auf die deutsche NS-Vergangenheit. Im Film zeigt sich jedoch auch, dass Rabe die Lage im totalitären Deutschland aufgrund seines langen Auslandsaufenthalts völlig falsch einschätzt: So bittet er in einem persönlichen Brief an Adolf Hitler, gegen die japanischen Kriegsverbrecher vorzugehen. In der Kontrastierung von John Rabe mit den drei markanten Filmcharakteren Werner Fließ, Robert Wilson und Georg Rosen zeigt sich allerdings eine völlig unterschiedliche Wahrnehmung der aktuellen politischen Ereignisse im fernen Deutschland, die Rabes Haltung den Nationalsozialisten gegenüber in Frage stellt.
Chinas Oskar Schindler
Trotz der politischen Orientierung des Protagonisten ist der Einsatz von John Rabe ein Beispiel für Zivilcourage. Er wird gern mit dem deutschen Unternehmer Oskar Schindler verglichen, der in den 1940er-Jahren das Leben von über tausend jüdischen Menschen rettete. Steven Spielberg hat ihn in seinem Film Schindlers Liste (Schindler’s List, USA 1993) verewigt. Wie Schindler geriet auch Rabe in Deutschland in Vergessenheit. John Rabe wurde nach seiner Rückkehr in Deutschland von der Gestapo verhaftet und erhielt in Bezug auf das Massaker von Nanjing Redeverbot. Fast 60 Jahre nach seinem Tod hat Florian Gallenberger ihm nun ein filmisches Denkmal gesetzt.
Autor/in: Stefanie Zobl, Kulturjournalistin mit Schwerpunkt Film, 10.03.2009
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