Kategorie: Film
"Die Höhle der vergessenen Träume"
Cave of Forgotten Dreams
Werner Herzog eröffnet mit seiner Dokumentation einen Zutritt in die Chauvet-Höhle, in der sich Höhlenmalereien aus der Altsteinzeit befinden.
Unterrichtsfächer
Thema
Die in Südfrankreich gelegene Chauvet-Höhle ist einer der bedeutendsten wissenschaftlichen Funde der Neuzeit, sie ist eine Zeitkapsel aus einer anderen Epoche der Menschheitsgeschichte: In der 8.000 Quadratmeter großen Grotte befinden sich Höhlenzeichnungen und Knochenfunde, deren Alter mit Hilfe der Radiokarbonmethode auf über 30.000 Jahre – und somit auf die Altsteinzeit – datiert werden konnten. Damit befinden sich in der nach ihrem Entdecker benannten Höhle die ältesten uns bekannten bildlichen Darstellungen von Menschenhand. Durch einen Felseinsturz war ihr Innenraum bis zur ihrer Entdeckung 1994 mehr als 20.000 Jahren luftdicht versiegelt, weshalb die Wandgemälde nahezu in ihrem Urzustand erhalten sind. Aufgrund ihres empfindlichen Mikroklimas ist die Chauvet-Höhle für die Öffentlichkeit geschlossen.
Zugang zu einem verschlossenen Ort
Extreme Orte und menschliche Grenzerfahrungen haben den deutschen Filmemacher Werner Herzog seit jeher fasziniert. Darum war es für Herzog eine besondere Ehre, als er von der französischen Regierung die Erlaubnis erhielt, in Begleitung einer Forschungsteams in der Chauvet-Höhle zu filmen. Seine Zum Inhalt: Dokumentation "Die Höhle der vergessenen Träume" entstand unter erschwerten Bedingungen: Maximal vier Stunden durfte sich die Gruppe in der Höhle aufhalten. Es konnte nur mit Spezialkameras gefilmt werden, und das vierköpfige Filmteam wie auch die Expeditionsmitglieder mussten sich auf Stegen durch die Höhle bewegen, um die Jahrtausende alten Spuren nicht zu beschädigen.
Dokumentation in 3D
Um die Räumlichkeit der Höhle und die Textur der Malereien filmisch erfassen zu können, beschloss Herzog erstmals in seiner Karriere mit 3D-Technologie zu drehen, was die Zuschauer/innen in die Rolle eines Expeditionsteilnehmenden versetzt. Besonders schön tritt das Funkeln der Mineralablagerungen an den Höhenwänden hervor, die den Bildern eine plastische Tiefe verleihen. Im spärlichen Zum Inhalt: Licht scheinen die Tierzeichnungen zum Leben zu erwachen. Die wohl bemerkenswertesten Malereien zeigen eine gestaffelte Anordnung von Pferdeköpfen und einen Büffel mit acht Beinen, die – ähnlich der Fotoserien von Eadweard Muybridge, etwa The Horse in Motion (1878), deren Bilder die Bewegung eines trabenden Pferds festhält –, mit einfachen Mitteln physische Bewegung darstellen. Das Zusammenspiel von Zum Inhalt: Licht, Schatten, Bewegung und der Beschaffenheit der Wände, mit deren Hilfe der frühe Mensch bereits Geschichten zu erzählen
verstand, macht die Analogie zum Kino offensichtlich, wie auch der Filmausschnitt zeigt. Dabei gelingt es Herzog jedoch, aus naheliegenden Beobachtungen verblüffende Gedanken weiterzuspinnen, die um seinen Betrachtungsgegenstand kreisen und neue inhaltliche Verbindungen herstellen. So zeigt der Regisseur etwa Fred Astaire in einer alten Filmaufnahme im Tanz mit seinem Schatten und stellt so anschaulich einen Zusammenhang zwischen den paläolithischen Wandbildern und der Kinoapparatur des 20. Jahrhunderts her.
Die Seele des modernen Menschen
Herzog ist immer mehr als ein Filmemacher gewesen. Seine Filme zeugen auch von der Neugier eines Hobby-Anthropologen, ob er in (BRD 1974) den Mythos des Findelkindes Kaspar Hauser neu erzählt oder in "Grizzly Man" (USA 2005) die wahre Geschichte eines Mannes Zum Inhalt: dokumentiert, der beschlossen hatte, in der Gesellschaft von Bären zu leben. Herzog betrachtet die Chauvet-Höhle nicht nur als kinematografischen Projektionsraum, sondern auch als einen Ort des Menschheitsgedächtnisses. Manche seiner Fragen stellt er aus dem Zum Inhalt: Off mit einem übertrieben mystischen Beiklang in der Stimme, doch seine Gesprächspartner/innen lassen sich nur zu gern auf seine Überlegungen ein. Einmal vergleicht der Regisseur die Millionen von erfassten Daten aus der Höhle mit dem Telefonbuch von Manhattan und schließt mit der Feststellung, dass diese Zahlen nichts über die Träume dieser Menschen verraten. Herzog sucht in der Höhle etwas, das sich nicht mit Geräten vermessen lässt: "die Seele des modernen Menschen", wie er es nennt. Und so unterlegt er seinen Film auch einmal deutlich mit dem "Herzschlag der Höhle", während die Kamera minutenlang über die Zeichnungen schweift. Herzog setzt solche Verfremdungseffekte gezielt ein, das unterscheidet ihn von klassischen Zum Inhalt: Dokumentarfilmern. Seine Themen fungieren immer auch als Spiegel seines eigenen mythischen, mitunter archaischen Weltbildes – ein Gestus, der durch die überhöhende sakrale Zum Inhalt: Musik oder die stete Wiederholung der Wandbilder in "Die Höhle der vergessenen Träume" verstärkt wird.
Von Höhlenbären zu Albino-Alligatoren
Solche bedeutungsschweren Betrachtungen sind jedoch nur eine von vielen Methoden, mit denen Herzog der Chauvet-Höhle ihr Geheimnis zu entlocken versucht. Er geht bei seinen Nachforschungen intuitiv vor und trifft dabei auch auf exzentrische Zeitgenossen/innen wie den deutschen Archäologen Wulf Hein, der im Bärenfell die US-amerikanische Nationalhymne auf einer Knochenflöte spielt. Oder einen Geruchsexperten, der damit beschäftigt ist, die Gerüche der Höhle vor 30.000 Jahren zu rekonstruieren. Herzogs Ansatz sieht ähnlich experimentell aus. "Die Höhle der vergessenen Träume" strebt nicht nach der letzten Erkenntnis, vielmehr lässt er seinen Film in Daten und Informationen treiben, um an völlig neue Ufer zu gelangen. Am Ende wagt Herzog gar den Exkurs in ein nahegelegenes Kernkraftwerk, dessen Kühlwasser einen Tropenpark beheizt, in dem Albino-Krokodile geboren werden. Unser Vermächtnis an zukünftige Generationen? Herzogs unerschöpfliche Neugier fördert verblüffendes Material zutage. So funktioniert "Die Höhle der vergessenen Träume" in zweierlei Hinsicht: als philosophisches Essay eines exzentrischen Filmemachers und als einzigartiges Dokument einer längst vergangenen Epoche der Menschheitsgeschichte.