Im Sommer 1989 steht die 18-jährige Suzie in Ostberlin (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) kurz vor dem Abitur. Nach der Schule will sie Literatur studieren: Bücher lesen, Gedichte schreiben, bis mittags ausschlafen, frei sein. Ein "Schwerter zu Pflugscharen"-Aufnäher an ihrer Jacke wird ihr allerdings zum Verhängnis. Auf dem Schulweg fällt sie deshalb zwei Volkspolizisten auf, die in ihrem Rucksack zudem George Orwells Roman 1984 – herausgegeben von einem westdeutschen Verlag und in der DDR verboten – finden. Ein Vergehen, das hart bestraft wird. Sie fliegt von der Schule und soll fortan als Arbeiterin im Kabelwerk Oberspree "zu einem würdigen Mitglied der sozialistischen Gesellschaft heranreifen". Suzie fühlt sich, als sei ihr Leben in eine Sackgasse geraten, bevor es überhaupt richtig anfangen konnte. Doch dann eröffnet sich ihr eine neue Welt, als ein spontan von ihr aufgenommenes Porträt unerwartet in der Modezeitschrift Sibylle erscheint: Sie wird als Mannequin entdeckt. Gleichzeitig taucht Suzie in die wilde und anarchische Underground-Modeszene Ostberlins ein.

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Ein vielschichtiger Blick auf die DDR

"In einem Land, das es nicht mehr gibt" erzählt eine Zum Inhalt: Coming-of-Age-Geschichte vor dem Hintergrund der DDR-Modewelt Ende der 1980er-Jahre. Regisseurin und Zum Inhalt: Drehbuchautorin Aelrun Goette wurde als 19-Jährige selbst in Ostberlin als Model entdeckt: Ihre persönliche Verbindung und ihr fundiertes Wissen zu den Themen des Films äußern sich als nuancierter Blick auf die DDR, der den Alltag in der Diktatur weder unkritisch romantisiert, noch auf Repression und staatliche Kontrolle reduziert. "Die" DDR wird nicht als vereinheitlichtes Konstrukt erzählt, sondern als Landschaft widersprüchlicher, auf- und übereinander geschichteter Lebenswelten, durch die Suzie sich bewegt.

Diese Welten – die Fabrik, die staatlich geförderte DDR-Modeindustrie, die Ostberliner Subkultur – werden durch detailreiches, akribisch recherchiertes Set- und Kostümdesign (Glossar: Zum Inhalt: Kostüm/Kostümbild) zum Leben erweckt und voneinander abgegrenzt. Da ist zunächst die schillernde Welt des Magazins Sibylle und des Luxus-Modeproduzenten VEB Exquisit. Als Aushängeschild der DDR genoss die Modeindustrie Privilegien und Freiräume, erkauft durch ihre für den Staat überlebenswichtigen Exporteinnahmen. Während die Kabelfabrik immer im Halbdunkel (Glossar: Zum Inhalt: Licht und Lichtgestaltung) liegt, sind die Verlagsräume der Modezeitschrift lichtdurchflutet und offen. Hier begegnet Suzie mondän und elegant gekleideten Menschen, statt Kabelrollen (Glossar: Zum Inhalt: Requisite) auf dem Fabrikhof liegen goldene Armreifen auf dem Bürotisch. Für Chefredakteurin Elsa Wilbrodt ist Schönheit nicht trivial, sondern todernst. All das erscheint Suzie nach dem ölverschmierten Fabrikalltag wie ein Märchen; die roten Absatzschuhe, auf denen sie nach ihrem ersten Besuch unbeholfen laufen lernt, wie ein Andenken aus einer Parallelwelt. Doch je sicherer Suzie sich in diesem neuen Umfeld bewegt, desto mehr erkennt sie, dass auch hier Unterordnung und Anpassung verlangt werden.

Ziegler Film / TOBIS/ Peter Hartwig

Selbstgebaute Freiräume

Abseits des Systems erschafft sich eine Gruppe von Freigeistern um den Modemacher Rudi deshalb ihr eigenes Universum. Sie verwandeln Duschvorhänge oder Abflusssiebe in avantgardistische High Fashion, veranstalten extravagante Modenschauen, nur, weil es Spaß macht. Ihre Nischen und Freiräume basteln sie sich im Privaten, halb Versteckten, Improvisierten: in ihren Wohnungen oder unauffälligen Industriehallen, die zu Mode-Werkstätten, Fotostudios, oder Catwalks umfunktioniert werden. Obwohl sie allein durch ihr demonstratives Anderssein den Staat provozieren, geht es den Mitgliedern dieser Subkultur weniger um Politik als vielmehr um Individualität, Hedonismus und Freiheit als Lebensgefühl. Die Episoden des Ausbruchs inszeniert Goette wie Traumsequenzen – private Blasen der Utopie, in denen die Außenwelt verschwimmt, die aber auch jeden Moment zerplatzen können: Sobald die Sonne untergeht, endet ein Tag an der Ostsee in der Flucht vor Grenzsoldaten mit Wachhunden; nach einer zu weit getriebenen Provokation können Gleichgesinnte spurlos verschwinden – mit Glück nur für ein paar Tage.

Die Menschen, die Suzie dabei kennenlernt, haben alle einen eigenen Umgang mit dem ständigen Kreislauf aus Freiheit und Repression gefunden. Rudi – dessen Figur auf der Ostberliner Subkultur-Ikone Frank Schäfer basiert – provoziert das System durch seine bloße Existenz als offen schwuler Mann in einem Land, in dem Menschen wie er offiziell nicht existieren. Sich anzupassen ist für ihn keine Option. Also lebt er so selbstbestimmt wie möglich, geht den "aufrechten Gang" auf High Heels, bekommt dafür aber auch die staatliche Repression zu spüren. Auch der charismatische Fotograf Coyote, der seine Bilder nicht mehr veröffentlichen darf, predigt eine Art nihilistischen Hedonismus als Antwort auf die Willkür des Systems. Mit seiner furchtlosen Art, seiner Lederjacke und seinem Motorrad beeindruckt er Suzie, die mit ihm eine unbeschwerte Sommer-Romanze beginnt. Doch hinter der gleichgültigen Fassade plant Coyote längst seinen Absprung in den Westen.

Ziegler Film / TOBIS/ Peter Hartwig

Coming-of-Age-Film nach klassischem Muster

Die grenzüberschreitende Experimentierfreude seiner Protagonist/-innen und deren Suche nach neuen Ausdrucksformen greift "In einem Land, das es nicht mehr gibt" auf formaler Ebene nicht auf. So werden Momente des Ausbruchs in ihrer Radikalität zwar nachvollziehbar, aber nicht ganz fühlbar. Der Film folgt den klassischen dramaturgischen Mustern einer Coming-of-Age-Geschichte und übersetzt Suzies Gefühlswelt oft in einen emotionalisierenden und beliebigen instrumentalen Soundtrack (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik). Nur in einigen Zum Inhalt: Szenen unterstreicht englischsprachiger 80er-Rock sowohl Suzies Rebellion als auch ihre Zugehörigkeit zu einer Art universellem "Teenager-Sein", das sich in Ost und West zum Teil an den gleichen popkulturellen Ikonen und Symbolen orientierte. Als persönliches Porträt einer alternativen Szene zeichnet der Film jedoch nur ein partielles Bild eines historischen Moments: Obwohl Suzies Geschichte unmittelbar vor dem Mauerfall spielt, werden die oppositionellen Bewegungen, die zum Fall der DDR führten, fast vollständig ausgeblendet. Schlussendlich geht es vor allem um die universelle Suche junger Menschen nach sich Selbst und dem eigenen Platz in der Welt. Freiheit bedeutet hier, zu träumen und radikal man selbst zu sein.

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