Ein selbstgebastelter Drache, einige Buntstifte und die vielen ausgetrunkenen Bierdosen seiner Mutter, die er zu einem Turm stapelt – viel mehr Spielmöglichkeiten hat der 9-jährige Icare nicht, den seine Mutter nur "Zucchini" ruft. Seinen Vater hat er schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Als er durch einen Unfall auch noch zum Waisenkind wird, fährt der gütige Polizist Raymond den zarten Jungen mit den blauen Haaren ins Kinderheim "Haus der Springbrunnen". Obwohl es dort zunächst den Anschein hat, als habe der freche Simon ihn auf dem Kieker, und obwohl Zucchini in der ersten Nacht vor Kummer fast nicht schlafen kann, wird ihm das Heim doch sehr bald zu einem liebevollen Zuhause und die anderen Kinder zu seinen Freunden und Freundinnen. Die Ankunft der schlagfertigen Camille steigert Zucchinis Glück sogar noch. So also fühlt sich Verliebtsein an! Doch Camilles fiese Tante will das Mädchen zu sich holen, weil sie das Pflegegeld kassieren möchte. Auf keinen Fall will Camille zu ihr zurück – und Zucchini verspricht, sie nicht im Stich zu lassen.

Mein Leben als Zucchini, Szene (© polyband Medien GmbH)

Ernste Inhalte und entlastende Kontrapunkte

Nicht nur Zucchinis Familiengeschichte ist für einen Kinderfilm ungewohnt beklemmend. Nüchtern fasst Simon zusammen, weshalb die Kinder im Heim gelandet sind, erwähnt etwa die Drogensucht seiner eigenen Eltern oder Alices Missbrauch durch den Vater. Während Simon dies erzählt, spielen die anderen bei herrlichstem Wetter fröhlich im Garten. Durch diese ständige Vergewisserung, dass alle Figuren im Kinderheim einen Ort der Zuflucht und Geborgenheit gefunden haben, wird die emotionale Distanz zwischen ihrer vergangenen und gegenwärtigen Situation deutlich gemacht. Sie ermöglicht es dem Film, schwierige Kinderschicksale zu thematisieren und sein junges Publikum dennoch emotional nicht zu überfordern.

"Die dunklen, tragischen Vorfälle aus der Vergangenheit werden nur dann aufgegriffen, wenn sichergestellt ist, dass sie durch die neuen Freundschaften in der Gegenwart aufgefangen werden", fasst der Schweizer Regisseur Claude Barras im Presseheft das dramaturgische Vorgehen zusammen und verweist darin auch auf das ausgewogene Verhältnis zwischen ernsten und witzigen Zum Inhalt: Szenen. Entlastende Kontrapunkte zu den gewichtigen Inhalten bieten darüber hinaus die überwiegend helle Zum Inhalt: Farbgebung der klaren Bilder, die zurückhaltende Zum Inhalt: Orchestrierung und nicht zuletzt die Entscheidung, den Stoff als Zum Inhalt: Puppentrickfilm zu realisieren. So erleichtern die liebevoll gestalteten Figuren mit ihren expressiven Augen einerseits die Identifikation, zugleich bleibt dadurch aber auch in jedem Moment die Fiktionalität der Geschichte bewusst.

Offene Erzählweise

Weil Zucchini unbedingt wissen möchte, weshalb Camille ins Heim gekommen ist, lesen Simon und er heimlich ihre Akte und erfahren, dass sie den gewaltsamen Tod ihrer Eltern mitansehen musste. "Man kann es in ihren Augen sehen", meint Zucchini mit Blick auf Camilles Foto, "dass sie alles gesehen hat." Damit bringt er den Erzählmodus des Films auf den Punkt: Wir sehen die Kinderaugen, aber nicht direkt das, was diese Kinderaugen sahen. So wie Zucchini das von Camille Erlebte in ihrem Blick widergespiegelt sieht, bleibt auch bei den anderen Kindern das Vergangene im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar: Ihre Geschichten haben Spuren hinterlassen, sich in ihre Körper eingeschrieben – etwa als kleine Narben, nächtliches Bettnässen, unkontrolliertes Zittern in Stresssituationen. Diese nuancierten Verweise lassen es Kindern offen, wie viel sie davon wahrnehmen und wie sie das Gesehene einordnen wollen und können. In dieser Offenheit der sehr visuell ausgerichteten Erzählung drückt sich auch ein großes Vertrauen in die Fähigkeit des jungen Publikums aus, sich relevante Informationen über die Figuren zu erschließen, ohne dass diese verbal verdoppelt werden.

Mein Leben als Zucchini, Szene (© polyband Medien GmbH)

Hoffnungsvolle Botschaften

Nur zwei Andenken an sein altes Leben hatte sich Zucchini ins Heim mitgenommen: Eine leere Bierdose seiner Mutter und den Drachen, dessen Vorderseite ein Bild seines Vaters als maskierter Superheld ziert. Aus der Bierdose wird er später für Camille ein Schiff bauen, und in ebendiesem Blechschiff versteckt Simon seinen neuen MP3-Player, der für Camille zur Rettung aus der Not wird. Auf seinen Drachen wiederum klebt Zucchini schließlich ein Foto seiner neuen Freunde und Freundinnen. Das Wenige, das ihm seine Eltern hinterlassen hatten, konnte Zucchini transformieren und ihm eine andere Bedeutung geben, den imaginären Schutz durch echten Halt ersetzen. So findet der Film für seine hoffnungsvollen Botschaften ganz konkrete Bilder, Dingsymbole, in denen sich seine (zutiefst menschlichen) Aussagen verdichten. Am Ende steht aber auch ein Glück jenseits aller Symbolik: Camille und Zucchini finden ein neues Zuhause, und Simon, den der Abschied von den beiden besonders schmerzt, darf erfahren, dass er in ihnen wahre Freunde gefunden hat.

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