Gegen Ende des 16. Jahrhunderts sucht der englische Adlige Edward de Vere, 17. Lord von Oxford, eine Möglichkeit, mit Hilfe seiner Dramen Einfluss auf die Thronfolge des Königreichs zu nehmen. Da es sich für seinen Stand nicht schickt zu schreiben, bittet er den jungen Dramatiker Ben Jonson, als sein Strohmann zu agieren. Doch dann ergreift der tölpelhafte Schauspieler William Shakespeare eine günstige Gelegenheit und gibt sich als Autor des vom Publikum gefeierten Stücks "Henry V". aus. Fortan gilt er als Urheber der populären und einflussreichen Dramen und Sonetten, während die politischen Feinde de Veres dafür sorgen, dass dieser ohne Einfluss bleibt und in Vergessenheit gerät.
Im Streit um die Urheberschaft der Werke William Shakespeares schlägt sich Regisseur Roland Emmerich auf die Seite der sogenannten
Oxfordianer. In seinem Historiendrama folgt er der Prinz-Tudor-Theorie, nach der Edward de Vere nicht nur Autor der berühmten Werke, sondern auch unehelicher Sohn von Königin Elizabeth I. sowie deren späterer Liebhaber war. Emmerich inszeniert diese umstrittene Spekulation als Geschichte eines Theaterstücks, indem er die Handlung in der Gegenwart auf einer Broadway-Bühne beginnen und dann ins elisabethanische Zeitalter übergehen lässt. Innerhalb dieser
Rückblende wechselt Emmerich wiederum zwischen drei Zeitebenen, was seinem amüsanten, aber letztlich recht schlicht gestrickten Verschwörungsthriller zumindest formale Komplexität verleiht.
Die Figur Edward de Veres entspricht der romantischen Vorstellung vom genialischen Schriftsteller, wobei Emmerich sie ins späte 16. Jahrhundert verlegt. Entsprechend lohnend ist es, die tatsächlichen Produktionsbedingungen des damaligen Theaterlebens, etwa die kollektive Autorenschaft oder das "Recycling" alter Stücke, zu beleuchten. Zudem lässt sich analysieren, wie man durch verschiedene Interpretationsansätze zu variierenden Ergebnissen gelangen kann – je nachdem, ob man ein Werk a) wie die
Oxfordianer biografisch aus dem Leben des Autors herleitet, b) sozialgeschichtlich aus seiner Entstehungszeit heraus zu verstehen versucht oder c) formalistisch als autonomes Kunstwerk betrachtet. Und schließlich wäre die Botschaft von
Anonymus kritisch zu hinterfragen: De Vere versteht im Film Literatur und Theater als Medien gesellschaftlichen Engagements, muss am Ende aber einsehen, dass er mit seinem Versuch, durch die Kunst politisch Einfluss zu nehmen, in jeder Hinsicht gescheitert ist.
Autor/in: Michael Kohler, 08.11.2011
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